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Druckansicht26.08.2021
Krux der Ersatzrohstoffe in Backwaren «frei von…»
Immer mehr Konsumenten kaufen «frei von»-Produkte, vor allem ein Thema bei Backwaren. Keine andere Branche kämpft so intensiv gegen Vorurteile ihrer wichtigsten Rohstoffe. Heute betrifft dies weit mehr als Zucker, Fett und künstliche Farbstoffe.



Bei vielen Produkten der Bäckereien und Konditoreien gibt es heute solche mit Ersatzrohstoffen wie glutenfreie Getreide und lactosefreie Milchprodukte.


Angeprangert bei den Originalrohstoffen werden meistens gesundheitliche Risiken, die aber oft nur durch dauerhaften Starkkonsum vorkommen, oder bei einzelnen kleinen Konsumentengruppen wie Allergiker und Personen, die an Unverträglichkeiten leiden (Intoleranz). Dr. Georg Schäppi von aha! Allergiezentrum Schweiz konstatiert: «Die Zahl der Menschen mit Lebensmittel-Unverträglichkeiten ist von 1% vor 100 Jahren auf heute gut 25% gestiegen: Wir essen exotischer und nehmen vermehrt Inhaltsstoffe zu uns, an die unser Organismus nicht gewöhnt ist. Ferner haben wir einen hygienischen Lebensstil, der kaum mehr echte Herausforderungen für das Immunsystem bietet».

Auch wenn die Konsummotive für Produkte mit Ersatzrohstoffen nicht immer fachlich begründbar sondern oft eher Lifestyle-motiviert sind, so besteht doch ein starker Trend zu einer Rohstoff-Parallelwelt. Für traditionelle Bäckereien ist dies eine Herausforderung: Sogar Weizen hat heute bei unkritischen Konsumenten ein Imageproblem, dessen Ursprung ein 2013 erschienenes Buch ist: „Weizenwampe – warum Weizen dick und krank macht“ vom amerikanischen Autor Dr. William Davis. Er behauptet, dass moderner Weizen für viele Zivilisationserkrankungen verantwortlich sei und diese sich allein durch Verzicht auf Weizen heilen liessen.

Hersteller von Diätprodukten und –ratgebern nutzen diese Ängste, so etwa das selbsternannte Gesundheitsportal «Zentrum der Gesundheit», das mit Aussagen wie «Weizengluten fördert Übergewicht» oder «Heutiger Weizen ist chronisches Gift» seine glutenfreien Produkte anpreist. Schäppi spricht Klartext dazu: «Der Anti-Weizentrend ist für Personen ohne Gluten-Intoleranz sektiererisch, auch wenn Weizen heute hochgezüchtet ist und mehr Gluten enthält». Produktionsleiter sind bei allergenfreien Produktionen gefordert, da diese wegen der Vermischungsgefahr von normalen getrennt werden müssen.


«Free from…»-Produkte bei Coop


Marketingstrategen dagegen sind nicht unglücklich über den «free from»-Trend, erlauben doch diese Produkte bessere Margen und höhere Verkaufspreise. Auch die Rohstofflieferanten passen sich an und entwickeln immer mehr und auch stetig verbesserte Alternativen.

Free-From-Produkte boomen

Sowohl Reformhäuser wie auch Supermärkte bewirtschaften das boomende Segment systematisch. «Heute kauft jeder fünfte Coop-Kunde regelmässig lactose- und glutenfreie Produkte», sagt Roland Frefel, Leiter Frischprodukte Coop. Bei diesen zwei Free-From-Kategorien von Coop geht es jedoch nicht um Allergien im immunologischen Sinn, die sehr selten sind und kaum Marktpotenzial haben, sondern um die viel häufigeren und nicht akut lebensbedrohlichen Intoleranzen. «Immer mehr Konsumenten kaufen «frei von»-Produkte auch ohne Unverträglichkeit, weil sie Gesundheitsvorteile erhoffen«, berichtete auch die internationale Marketingagentur Mintel. In der Tat: auch Trendforscher vermuten beim Konsum von gluten- oder lactose-freien Produkten oft Lifestylemotive.

Die sensorische Qualität der allergenfreien Produkte machte grosse Fortschritte. Lactosefreie Milchprodukte sind heute gleich gut wie die Normalprodukte. Auch bei den glutenfreien gibt es vergleichbar gute wie zB Teigwaren und Biscuits. Brot ist am schwierigsten ans Original anzugleichen, in letzter Zeit sind jedoch auch hier Fortschritte festzustellen.

Auf glutenfreie Backwaren spezialisert ist die Bäckerei Riesal in Unterägeri. Bäckermeister und Fachlehrer Gustav Iten (Bild) produiert seit 1986 in seperaten Räumen glutenfreie- und Diabetikerprodukte. Sein Sortiment umfasst Dauerbackwaren sowie Frischprodukte wie Brote, Weggli, Gipfeli, Pizza, Kuchen und Mehle. Aber da das Brotkrumenaroma primär dank der Hefegärung von glutenhaltigem Getreide entsteht, werden beim Krumenaroma glutenfreie Brote immer ein Manko aufweisen. Dies im Gegensatz zu den Röstaromen der Kruste, die nicht auf Gluten basieren.

Glutenhaltige Getreide sind Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Dinkel, Urdinkel, Kamut, Grünkern (unreifer Dinkel), Einkorn und Emmer. Von Natur aus glutenfrei sind Reis, Mais, Hirse, Quinoa, Amaranth und Buchweizen. Die Aussage «weizenfrei» bedeutet daher nicht automatisch «glutenfrei», hat aber im Marketing eine gewisse Bedeutung. Und Urgetreide-Backwaren aus Einkorn oder Emmer ohne Weizen sind im Trend.

Kaum sensorische Probleme bei «lactose-frei»

Technologisch und sensorisch kaum Probleme bietet die Abwesenheit von Lactose in Konditoreiwaren. Lactose kommt nur in Milch vor, und moderne Methoden wie deren enzymatische Behandlung mit Lactase erlauben, Lactose in Glucose und Galactose zu spalten. Dadurch schmeckt die Milch leicht süsser, da die entstehenden Einfachzucker in der Summe mehr Süsskraft besitzen. Oder die Membranfiltration entfernt Lactose, ohne dass Spaltprodukte in der Milch verbleiben.

Die allenfalls erhöhte Süsse spielt in Konditoreiwaren mit Zuckerzusatz keine Rolle, und die Bräunungsfähigkeit der Milch beim Backprozess ist bei der enzymatischen Herstellung nicht geschmälert, da auch Glucose und Galactose ebenso wie Lactose reduzierende Zucker sind, die an der Maillard-Bräunungsreaktion teilnehmen. Beispiele für Hersteller von lactosefreien Produkten sind die Molkerei Biedermann, welche das Enzymverfahren anwendet sowie Emmi mit dem Membranverfahren, wo «die Lactose vorsichtig entzogen, gespalten und teilweise wieder zurückgeführt wird. Dies hat zur Folge, dass Milchgetränke nicht leicht süsslich schmecken». (GB)
(gb)

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