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Druckansicht10.12.2020
Hat Töten männlicher Küken bald ein Ende?
Jedes Jahr werden in der Schweiz drei Millionen männliche Küken getötet. Neue Hightech-Methoden zur Geschlechtsbestimmung im Ei sollen dieser fragwürdigen Praxis jetzt ein Ende machen.

Die Migros hat vor Kurzem so genannte Seleggt-Eier in das Sortiment aufgenommen. Mit diesen Respeggt-Eiern (Bild) - mit einem Stempel versehen - wolle die Migros ein Zeichen gegen das Kükentöten setzen, sagt Patrick Stöpper, Mediensprecher der Migros.

Da bei Hühnerrassen, die explizit auf die Produktion von Eiern hin gezüchtet worden sind, die männlichen Tiere keine Funktion haben, werden in der Schweiz pro Jahr etwa drei Millionen von ihnen bereits am ersten Lebenstag vergast. Eine Methode, die von Tierschützern bereits seit vielen Jahren hart kritisiert wird.

Das Unternehmen Respeggt GmbH mit Sitz in Köln hat deshalb eine High-Tech-Methode entwickelt, die es erlaubt, am neunten Bruttag das Geschlecht des Kükens zu bestimmen und so die männlichen Küken gar nicht erst schlüpfen zu lassen . Die Eier werden neun Tage im Brutschrank vorgebrütet und dann einer Geschlechtsanalyse unterzogen.

«Mit einem Laser machen wir ein 0.2 Millimeter kleines Loch in die Eischale. Dabei wird nur die Eihaut minimal geöffnet, die sich anschliessend selber wieder verschliesst, die Eimembran bleibt intakt», sagt Kristin Höller, Head of Business Development und Public Affairs bei Respeggt. Mit einer automatischen Vorrichtung werde dann etwas embryonaler Harn entnommen und auf einen Marker gegeben. Dieser Marker reagiert auf das weibliche Geschlechtshormon und zeigt per Farbumschlag, ob es sich um ein weibliches oder ein männliches Küken handelt. Die als weiblich erkannten Eier werden wieder in den Brutschrank zurückgebracht, wo die Küken nach insgesamt 21 Tagen schlüpfen.


Mit Hilfe dieses Seleggt-Karussells werden die Eier analsysiert.


Doch was passiert mit den männlichen Embryonen? «Diese werden aussortiert und der Futtermittelproduktion zugeführt. Meist werden sie zu Hochprotein-Ferkelfutter weiterverarbeitet», sagt Kristin Höller. Es sei Respeggt ein grosses Anliegen, dass diese Eier weiterverwendet werden und nicht etwa im Abfall landen.

Empfindsames Wesen oder nicht?

Die männlichen Küken schlüpfen bei dieser Methode also gar nicht erst. Doch wie viel Empfindungen hat ein neun Tage alter Hühner-Embryo? Mit dieser Frage muss sich Kristin Höller oft befassen -aktuell sogar noch mehr als sonst. Denn die deutsche Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner will per Gesetz das Kükentöten in Deutschland per 2022 verbieten und ab 2024 Geschlechtsbestimmung nur noch bis maximal am sechsten Bruttag zulassen. Das Friedrich Loeffler Institut habe indes bestätigt, dass man aktuell nicht wissen könne, welche Empfindungen am siebten Bruttag bereits möglich seien. Es gebe jedenfalls keine valable Studie, die ein Schmerzempfinden in diesem Stadium bestätigen würde.

Wer einen Blick in ein neun Tage altes Brutei wirft, beispielsweise über Röntgentechnik, erkennt darin bereits ein ziemlich vollständig ausgebildetes Küken. «Der Eingriff geschieht ein paar Tage vor der Hälfte des gesamten Entwicklungsprozesses, von daher sieht man dann bereits Ansätze eines Embryos. Aber es handelt sich dabei noch nicht um ein komplett entwickeltes Küken», sagt Kristin Höller.

Das ist nicht der einzige Aspekt, der die Kritiker an dieser Methode stört. Die Bioverbände in Deutschland wie Naturland, Demeter und Bioland zum Beispiel haben sich generell gegen eine Geschlechtsbestimmung im Ei ausgesprochen. Sie kritisieren, dass diese Methode an der Ursache des Problems, der Hochspezialisierung der Rassen auf Lege- oder Masthuhn, nichts ändere.

Bei Bio Suisse ist man nicht ganz so rigoros. Aktuell werde genau beobachtet, welche Wege Nachbarländer und befreundete Organisationen einschlagen. An der Delegiertenversammlung im Herbst 2021 wolle Bio Suisse definitiv entscheiden, welchen Weg man einschlagen wolle, um das Kükentöten zu beenden. «Gut vorstellbar, dass bei Bio Suisse mehrere Wege weg vom Kükentöten führen», sagt David Herrmann, Mediensprecher bei Bio Suisse. In der Schweiz hat sich bislang kein Verband generell gegen eine Geschlechtsbestimmung im Ei ausgesprochen.

Weitere Anlagen geplant

Es gibt zurzeit nur ein einziges Respeggt-Geschlechtsbestimmungszentrum im holländischen Barneveld gibt. «In Elterntierfarmen in Holland werden Bruteier produziert, welche dann am neunten Tag in Barneveld selektioniert werden», sagt Patrick Stöpper. Anschliessend werden sie in eine Brüterei zum Schlüpfen gebracht. Als Eintagesküken werden sie dann in die Schweiz gebracht. Aktuell werden pro Jahr etwa 3.5 Millionen Eier analysiert, ein Ei pro Sekunde.

In den nächsten Jahren will die Respeggt GmbH weitere Anlagen bauen, obwohl die Methode für Deutschland per 2024 vielleicht verboten wird. Die zwei Cent Mehrkosten, die durch die Analyse pro Ei entstehen, werden von den Detailhändlern den Endkonsumentinnen und -konsumenten weiterverrechnet. In der Schweiz wird das Sechserpack Respeggt-Eier für CHF 3.35 verkauft, wie Patrick Stöpper sagt. Im Vergleich: Das Sechserpack Freilandeier kostet in der Migros aktuell CHF 2.95, Bioeier CHF 4.85.

Echte Lösung statt Problemverlagerung

In der Migros findet die Kundschaft ab 2021 neben Respeggt-Eiern auch Demeter-Eier, die mit Bruderhahnaufzucht verbunden werden im Angebot. Coop setzt seit sechs Jahren auf das Zweinutzungshuhn. GalloSuisse-Präsident Daniel Wuergler begrüsst es sehr, dass den Konsumentinnen und Konsumenten solche Alternativen zur Verfügung stehen.

«Wichtig ist uns, dass man dabei den Konsumenten gegenüber ehrlich ist und aufzeigt, welche Methode welche Konsequenzen hat», sagt er. GalloSuisse begrüsse alternative Ansätze wie das Zweinutzungs-Huhn, die Bruderhahnaufzucht und jetzt neu auch die Geschlechtsbestimmung im Ei. «Doch muss man sie auch immer gesamtheitlich betrachten und darf nicht alleine auf den ethischen Aspekt fokussieren», sagt Wuergler. Man dürfe das Problem nicht einfach verlagern. Und das tue die Respeggt-Methode zum Teil.


Ab welchem Tag empfinden Küken Schmerz? Diese Frage ist nach wie vor ungeklärt.


«Man tötet zwar nicht das Küken, aber den vollentwickelten Embryo. Wir denken, dass das auf lange Sicht nicht akzeptabel sein wird», sagt Daniel Wuergler. Auch die Zuverlässigkeit der Methode stellt er aufgrund diverser Rückmeldungen von Eierproduzenten in Frage. «Die ideale Lösung wäre aus unserer Sicht die Geschlechtsbestimmung im Ei am Tag 0. Dazu gibt es ja bereits erste Forschungsansätze», sagt Wuergler. Doch bis eine gentechnikfreie Lösung vorliege, werde es wohl noch eine Weile dauern. Und bis dahin schneide die aktuelle Lösung in der Schweiz im Grossen und Ganzen zumindest am wenigsten schlecht ab, meint Wuergler. Letztlich seien es vor allem auch die Kunden, die im Laden mit ihrem Kaufentscheid mitbestimmen, wie der Weg weitergehen soll.

Alternative: Zweinutzungshuhn für Eier und Fleisch

Eine weitere Möglichkeit, das Töten von Küken zu vermeiden ist, in der Zuchtgeschichte einen Schritt zurückzugehen und wieder Zweinutzungsrassen zu züchten. So wie das bei unseren Vorfahren der Fall war. Diese Hühner legen weniger und kleinere Eier, die Zweinutzungshähne sind weniger fleischig und ihr Fleisch wie bei der Bruderhahnaufzucht teurer als das von Mastlinien. Dazu kommt, dass Zweinutzungshennen mehr Futter benötigen um die gleiche Menge Eier zu legen wie Hennen von Legerassen.

Coop hat das Projekt Zweinutzungshuhn 2014 als Pilotbetrieb gestartet und laufend weiter ausgebaut. Inzwischen werden im Rahmen des Projektes auf rund zehn Bio-Betrieben Zweinutzungshühner gehalten. In diesen Bio-Ställen leben insgesamt etwa 10'000 Zweinutzungs-Legehennen. Die männlichen Küken aus demselben Schlupf werden ebenfalls in Bio-Betrieben aufgezogen. «Die Nachfrage nach Eiern von Zweinutzungshühnern nimmt stetig zu», sagt Andrea Luca Ruberti, Mediensprecher von Coop Schweiz. Die Rückmeldungen der Kundinnen und Kunden seien durchwegs positiv. Die Eier dieser Legehennen sind unter dem Label «Zweinutzungshuhn» in insgesamt rund 150 grösseren Coop-Supermärken erhältlich.

Alternative: Bruderhahn-Aufzucht

Susanne Huber, Co-Geschäftsführerin der Demeter Geschäftsstelle, erzählt mehr über die Bruderhahn-Aufzucht: Die Erfahrungen zeigen, dass sich die Hähne gut aufziehen lassen, optimieren möchten wir nun noch im Bereich der genutzten Rassen und bei der Fütterung. Die Demeter-Landwirte sind seit 2019 durch die Richtlinien zur Aufzucht der Bruderhähne verpflichtet.

Die Nachfrage nach den Eiern ist sehr gut, der Bedarf kann gerade so gedeckt werden. Neben den Hennen werden aber eben auch Hähne geboren, welche auch ein Recht auf Leben haben. Dieses Bewusstsein muss auf Seite der Konsumenten und Konsumentinnen noch etwas geschärft werden, sodass auch das Junghahnfleisch genügend Absatz findet. Diejenigen, die eine Landwirtschaft mit einem geschlossenen Kreislauf unterstützen, schätzen das Fleisch der Hähne sehr. Wir rechnen damit, dass der Abverkauf der Eier und des Fleisches tendenziell noch zunimmt.

Die Flächen und das Futter würden ja nicht ungenutzt bleiben, sie würden einfach in die Aufzucht weiterer Legehennen investiert. Sowohl der Ressourcenverbrauch als auch das Problem des Kükentötens bliebe bestehen. Bei der Bruderhahnaufzucht achten wir auf eine optimierte Fütterung und füttern nur so lange, wie Futteraufnahme und Gewichtszunahme stimmen. Es kommt der Punkt im Leben jedes Hahnes, wo sich gefressenes Futter und Zunahme nicht mehr die Balance halten. Dann ist der Zeitpunkt der Schlachtung gekommen. Je extensiver die Rassen, mit welchen die Betriebe arbeiten, desto extensiver die Fütterung. (LID)
(gb)

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