Foodfachzeitung im Internet
Samstag, 21. Dezember 2024
Report
Druckansicht28.12.2018
Kühl ist cool: Weinbau in hohen Lagen
Weinbau in hohen Lagen bietet viele Vorteile: lange Reifezeiten, dramatische Unterschiede zwischen Tag- und Nachttemperaturen sowie karge Böden, die Stress für die Reben bedeuten. Aber gerade dies ergibt gehaltvolle, fruchtige Weine.


Die höchstgelegene Weinzone in Europa, das Dorf Vilaflor mit 1500-1800 Meter über Meer, befindet sich auf der spanischen Insel Teneriffa am Fuss des Teide-Vulkans. Auf Platz zwei liegt das Aostatal (Italien) mit ca. 1200 Meter, gefolgt von Heida im Wallis unterhalb Visperterminen (bis 1150 Meter). Weltweit hält Salta in Argentinien den Rekord mit 3100 Meter. Bild: Reveron aus Vilaflor «muy afrutado».


Zu den ersten Dingen, die Weinstudenten lernen, gehören die klassischen Klimatypen: maritim, mediterran und kontinental. Dabei schwingt mit, dass diese drei Profile die gesamte Bandbreite optimaler Bedingungen für den weltweiten Weinbau umfassen. Eine neue Generation von Weinbergen in hohen Lagen stellt diese Annahme in Frage – und viele der entsprechenden Weine werden auf der ProWein 2019 zu verkosten sein. Von Riesling aus den Bergen Colorados (1975 Meter) zu auf der tibetanischen Hochebene (3563 Meter) angebautem Muskat – das Gebirgsklima ist bereit für seinen Platz im Rampenlicht.

Weinbau in höher gelegenen Regionen bietet viele Vorteile für Rotwein- und Weissweinsorten: lange Reifezeiten, dramatische Unterschiede zwischen Tag- und Nachttemperaturen, aussergewöhnlicher Wasserablauf und Belüftung, sowie steinige, karge Böden, die Stress für die Reben bedeuten, sodass niedrigere Erträge erzielt werden. Ob es sich um die schneebedeckten Bergspitzen Argentiniens handelt oder um die trockene Rioja Hochebene in Spanien, es ist offensichtlich, dass alles, was hier wächst, unterschiedliche Bewältigungsstrategien entwickeln muss, um gedeihen zu können.

Das Gebirgsklima repräsentiert ausserdem eine elegante natürliche Lösung für die Herausforderungen des Klimawandels, denen sich traditionelle Weinbauregionen gegenübersehen. Es schadet nicht, dass die Bedingungen in Höhenlagen tendenziell eine deutliche Eleganz, Finesse und Struktur in Weinen fördern, die perfekt zu den modernen Geschmacksvorlieben passt.

Hohe Risiken und Kosten

Um von der dünnen Luft zu profitieren, hat man potenziell einen hohen Preis zu zahlen: Frost und extreme Temperaturen, die Reben sind dem Wetter ausgesetzt und ob die Trauben vollständig ausreifen werden, ist nie sicher. Besonders abschreckend ist, dass die Realität des Anbaus im Gebirge unpraktisch und teuer ist. Das CERVIM (Forschungszentrum zum Schutz und Aufwertung des Bergweinbaus; www.cervim.org) geht soweit, den Weinbau in Höhenlagen als „heroischen Weinbau“ zu bezeichnen. Er ist sicher nichts für Zaghafte.

Die Schlagworte „Steillage, kühle Klimazone” sind für Länder wie Deutschland, Österreich, die Schweiz und Norditalien im Grunde nichts Neues. Tatsächlich profitieren hier viele etablierte Weingüter vom aktuellen Trend, der besagt, dass kühl cool ist. Die Weine vom 335 Meter hohen Zornberg in der Wachau in Österreich (Halle 17) bieten eine beinahe alpine Eleganz und die aus 250 Meter Höhe vom Heerkretz/Rheinhessen des Weinguts Wagner-Stempel (14, E 31) eine kühle Strahlkraft mit Kräuternoten. Und um über den Tellerrand der Alten Welt hinauszuschauen – das kühle Mikroklima des Monte Bello (396–822 Meter) in den Bergen von Santa Cruz/Kalifornien sorgt dafür, dass die Weine der Ridge Vineyards (Halle 9) diesem Profil ebenfalls entsprechen.

Vermutlich ist Argentinien mit seinen atemberaubenden schneebedeckten Bergspitzen die Region, welche die etablierten Höhengrenzen und Erwartungen stärker herausgefordert hat, als alle anderen. Die Chardonnays White Stones und White Bones der Bodega Catena Zapata (Halle 9) kommen von den schwindelerregenden Höhen des Adrianna Weinbergs (1400 Meter), gehören weltweit zu den radikalsten neuen Weinen, die aus dieser Rebsorte produziert werden und wurden oft als Grand Cru Südamerikas bezeichnet. Die Weinberge wurden erst im Jahr 1992 in dieser Höhe angelegt und es ist offensichtlich, dass die Weine ebenso von dem steinigen, kalkhaltigen Boden geprägt werden, wie von der Höhe. Der einzigartige Wasserabfluss des vulkanischen Unterbodens bedeutet, dass die Reben natürlich niedrige Erträge gesunder Trauben hervorbringen – das Ziel jedes Produzenten.

Mehr Farbe und Gehalt

Während Weinproduzenten mehr Erfahrungen im Gebirgsklima sammeln, hat ein natürlicher Selektionsprozess geeigneter Rebsorten begonnen. Dunklere Farbe und dickere Schale roter Trauben bedeuten z.B., dass viele Rotweinsorte in Höhenlagen gut gedeihen. Umso länger sie dem Sonnenlicht ausgesetzt sind, umso intensiver die Pigmentierung und umso dicker die Schalen – für den Wein bedeutet das mehr Farbe, Tannine und Struktur. Dabei ermöglichen es die kühleren Temperaturen, dass die Weine trotzdem eine grosse Frische bieten.

Weinproduzent Jose Lovaglio Balbo verwendet ausschliesslich Eichenfässer und Betontanks, um sowohl die Strahlkraft der Frucht als auch die Einzigartigkeit des Terroirs in seinen Malbec-Weinen des Vaglio-Projektes des Weinguts Susana Balbo (Halle 9) in 1.250 Meter Höhe des argentinische Valle de Uco zu akzentuieren. Es haben zwar auch andere Weinproduzenten diese stilistische Richtung eingeschlagen, seine Hingabe zum Anbau in Höhenlagen ist jedoch besonders beeindruckend.

Diese Bewegung in die Höhen der Gebirge ist mehr als nur eine Nische am Rand der Weinwelt. Es könnte hingegen gut sein, dass sie uns eine Vorschau bietet, welche Richtung der Mainstream irgendwann einschlagen wird. Laut David Schwarzwälder, anerkannter Fachmann für spanische Weine, haben sich „spanische Weinmacherinnen und Weinmacher (…) in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten verstärkt auf den Anbau in Höhenlagen konzentriert. Neben den bekannten Herkünften wie beispielsweise Ribera del Duero, wo bis auf 1.000 Meter Höhe kultiviert wird, entstehen zahlreiche Kleinprojekte auf in Vergessenheit geratenen Terroirs in den Berglandschaften Nord- und Zentralspaniens. Dabei handelt es sich nicht um neue Standorte, sondern um altes Rebland mit oft wurzelechten Rebgärten.“ Schwarzwälder verweist auf das Beispiel des Weinproduzenten Telmo Rodriguez (Halle 10), der in Valdeorras (650 Meter) und im umgebenden Hochland am nördlichen Ufer des Ebro Weine im „mineralisch feinen postmodernen“ Stil entwickelt.

Selbst neuere DOs wie Rueda (Halle 10), mit Weinbergen auf durchschnittlicher Höhe von 600–700 Meter über dem Meeresspiegel, haben diese Eleganz und Energie in ihren typischen Stil, die Rebsorten und Weinbaumethoden übernommen. Die Lese in der Region, immer das bedeutendste Weinspektakel des Jahres, wurde angepasst, um die Extreme der Natur zu nutzen und die Frische und Aromen der regionalen Frucht zu erhalten. Die Trauben werden im Mondlicht gelesen und dann von der kühlen Hochebene noch vor dem Morgen zur Kelter befördert, damit sie Sonnenlicht und hohen Temperaturen möglichst wenig ausgesetzt sind. Statt eine Kampagne für körperreiche Kraft und hohen Alkoholgehalt zu fahren, werden die Weine für ihre charakteristische und dynamische Frische gelobt.

Folgen des Klimawandels

Nachhaltigkeit spielt ebenfalls eine Rolle. In vielen Regionen auf dem gesamten Planet Wein fragt man sich, was als Nächstes kommt, da der unberechenbare Temperaturanstieg des Klimawandels darauf hinauslaufen wird, dass die traditionellen Rebsorten und Aromen einzelner Regionen in die Vergangenheit gehören.

Dr. Laura Catena von der argentinischen Bodega Catena Zapata gründete das Catena Institute (www.catenainstitute.com), wo man sich der Untersuchung traditioneller Rebsorten, Höhenlagen und neuer Regionen widmet. Bei einem Treffen von Weinexperten in Cascais (Portugal) – MUST Fermenting Ideas – warnte sie kürzlich davor, dass wir keine hundert Jahre haben werden, um herauszufinden, wie am besten mit den Herausforderungen umzugehen ist: „Wenn wir bestimmte Aromen erhalten möchten, müssen wir verstehen, was genau diese sind und wie sie erzielt werden können.“ Trauben aus Höhenlagen sind Überlebenskünstler, genauso wie die Winzer, die sie anbauen. Wie lange es dauert, bis sich der Rest der weintrinkenden Welt diesen höheren Ebenen zuwendet, wird sich zeigen. (Text: Messe Düsseldorf)

Messetipp
Prowein 17.-19.3.2019 in der Messe Düsseldorf. www.prowein.de
(gb)

Report – die neuesten Beiträge
20.12.2024
dSchweizer Schaumweine: Qualität und Potential
12.12.2024
dJetzt Pasteten und Terrinen auf den Teller
03.12.2024
dEmotional statt industriell: Zukunft von Schweizer Käse
25.11.2024
dEdle Kulturpilze: Teil 2
18.11.2024
dWelche Backwaren gesund sind und warum
10.11.2024dSchokoladen und Branchli im Kassensturz-Test
01.11.2024d Edle Kulturpilze: Teil 1
25.10.2024dMarkt und Wettbewerb der Alpenprodukte in Stans
18.10.2024dMehr Nüsse essen
11.10.2024dSwiss Cheese Awards: Schweizer Käsemeister gekürt
06.10.2024dWeihnachtsgebäck schon im Oktober?
25.09.2024dDie offiziell besten Metzgereien 2024
19.09.2024dPflanzlicher Milchersatz: umweltschonend aber nährwertärmer
08.09.2024dSchokoladeimitationen ohne Kakao im Trend
01.09.2024d Warme Schärfe dank Wasabi und Ingwer
21.08.2024dBrombeeren – wilde schmecken intensiver
14.08.2024dGlacesorten, -macharten und -trends
07.08.2024dFeige: Eine der ältesten Früchte der Welt
31.07.2024dEin Hoch auf Schweizer Bier
24.07.2024dJetzt hochwertige Beeren richtig verarbeiten
17.07.2024dFleisch kontra Ersatzprodukte - gesundheitlich betrachtet
10.07.2024dJetzt Aprikosen verarbeiten: Frische Vielfalt
03.07.2024dWie wird selbst gemachte Glace cremig?
26.06.2024dBio und Fleischersatz stossen an Grenzen
19.06.2024dMultitalente Blumenkohl und Romanesco
12.06.2024dNeuartige Kaffeealternative mit regionalen Rohstoffen
05.06.2024dHochverarbeitetes oft ungesund aber nicht immer
29.05.2024dGelungene Beefsteak-Imitation von Planted
22.05.2024d Food-Handwerker mit wissenschaftlichen Ambitionen
15.05.2024d(Un)sinn von Süssstoffen zum Abspecken
©opyrights ...by ask, ralph kradolfer, switzerland