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Druckansicht14.02.2015
Kulinarisches Erbe der Schweiz: drei Beispiele
Das kulinarische Erbe der Schweiz ist als Buchreihe erschienen. Zwei überregional bekannte Produkte und ein wenig bekanntes sind in diesem Bericht erklärt.


Nebst den wenigen ursprungsgeschützten AOP-IGP-Produkten der Schweiz gibt es eine Fülle von weiteren traditionellen, die das kulinarische Erbe der Schweiz ausmachen.


Die Schweiz hat den Ruf, ein besonders innovatives Land zu sein. Auch bei ihren Nahrungsmitteln beweist sie einen enormen Ideenreichtum. Nur schon die Metzger: gut 400 Wurstsorten haben sie im Verlauf der Jahrhunderte kreiert. Und die Bäcker sogar 500 Brotsorten. Zu diesen traditionellen kommen jedes Jahr neue dazu.

Das kulinarische Erbe der Schweiz wurde vor zehn Jahren durch Historiker systematisch recherchiert und beschrieben: www.kulinarischeserbe.ch. Der Verein Kulinarisches Erbe der Schweiz wurde im Jahr 2004 gegründet und erfasste von 2004 bis 2009 erstmals über Kantons- und Regionsgrenzen hinaus traditionelle Nahrungsmittel unseres Landes, deren Herstellung, Eigenschaften und Geschichte. Zu den Mitgliedern des Vereins gehören vier Organisationen aus dem Umfeld der Landwirtschaftlichen Beratung und der Kantone, aus Expertenkreisen der Forschung über das Kulinarische Erbe sowie von Slowfood Schweiz.

Die Produktgeschichten und –Beschreibungen gibt es auch als Buchreihe: eine Tour d’horizon durch berühmte und fast vergessene Spezialitäten mehrerer Kantone. Kürzlich erschien Band 3. www.delikatessenschweiz.ch präsentiert drei Leseproben:

Schwinigi Stöckli

Im Appenzellerland beschäftigte man sich bis in die 1930er-Jahre vor allem mit Kühen, Schweine hielt man nebenbei. Ihr Fleisch war ein Luxusprodukt, das man geräuchert am meisten schätzte. Im Normalfall ernährte sich eine Familie freilich eher von einem Kuhkopf, der Ende des 19. Jahrhunderts vier, fünf Franken kostete und Zwei Wochen lang Fleisch und Suppe hergab.



Heissrauch-Kotelett der Toggenburger Metzgerei Gröbli, hier Bräcker-Kotelett genannt. Heiss geräuchertes Fleisch ist schweizweit eine Rarität.


Mitte des 19. Jahrhunderts überlegte sich der Urgrossvater des befragten Metzgers im Appenzeller Vorderland, das über dem Rheintal liegt, ob er mit den Abschnitten des Kotelettstrangs nicht etwas Besseres machen könne, als sie bloss zu verwursten. Er tranchierte die Reste wie Koteletts mitsamt Knochen und Fett, würzte die Stücke und hängte sie in den Kaltrauch (bis 25 Grad Celsius).

Etwa ein Jahrhundert später war ein Gehilfe mit dem Kopf nicht bei der Sache und drehte die Temperatur in der Räucherkammer auf 100 Grad. Das Fleisch wurde heiss statt kalt geräuchert, seine Konsistenz folglich verändert - die Schwinige Stöckli (d.h. Stückli) waren weniger gummig als nach dem Kaltrauch, was ihnen ausgezeichnet bekam.

Heute portioniert der Metzger den Schweinehals in kotelettähnliche Stücke, bestreut sie mit Salz, Knoblauch und Gewürzen, stapelt sie im Kühlraum und lässt sie bei null bis zwei Grad vier bis zehn Tage ziehen. Dann werden sie etwa eine Stunde lang in 100 Grad heissem Buchenrauch gegart. Schwinigi Stöckli geniesst man kalt mit Brot und Salat, Most oder Wein. Mit dem Fett - alles andere ist Sünde. (Text: Band 3)

St.Galler Bürli

Entscheidend für ein gelungenes Bürli ist der hohe Wasseranteil. Der Bäcker verwendet fast gleich viel Wasser wie Mehl (weiss oder halbweiss), der Teig wird extrem weich. Der Hebel soll über Nacht reifen, die Hefe in Ruhe wirken, damit später grosse, luftige Löcher und eine rösche Kruste entstehen. Am nächsten Tag löst der Bäcker Salz und Malz in Wasser, mischt es unter den Teig und lässt langsam das Mehl einziehen. Der flüssige Teig muss eine Stunde ruhen.



Handbürli der St.Galler Bäckerei Egger


Der Teig wird nicht mehr geknetet, damit die Gärgase gefangen bleiben und sich zu Blasen aufplustern und damit sich unregelmässige Poren bilden. Der Bäcker formt die Bürli und legt entweder zwei (Doppelbürli) oder vier (Schild) gegeneinander, bestäubt sie mit Mehl und schiebt sie in den sehr heissen Ofen. Doppelbürli sind meistens oval, Schildbürli (aus Weissmehl) sind an der Stelle, wo sie zusammenstossen, etwas spitz geformt. (Text: Band 3)

Emmentaler Käse

Emmentaler produziert man prinzipiell wie andere Hartkäse aus Kuhmilch: Der Käser erhitzt entrahmte, gekühlte Abendmilch und frische Morgenmilch auf 31 Grad, gibt Lab hinein und Milchsäurebakterien. Die Feststoffe gerinnen zu einer kompakten Gallerte. Mit der Käseharfe schneidet man die geronnene Milch in Käsekörner. Dabei scheidet Sirte (Molke, Schotte) aus, es entsteht der sogenannte Bruch (Sirtenbruchgemisch).

Je kleiner die Körner sind, desto härter wird am Ende der Käse. Weichkäse enthält mehr Wasser, weil er aus gröberen Stücken hergestellt wird; Wasser bietet Mikroorganismen vorzügliche Lebensbedingungen. Hartkäse hält das potentielle Verderben besser in Schach, weil er weniger Wasser enthält.

Das Sirtenbruchgemisch wird unter Rühren auf 53 Grad erhitzt damit sich die Körner stärker zusammenziehen und noch mehr Sirte ausdrücken. Dann werden die Käsekörner in die Form (Järb) gepumpt, wo sie 20 Stunden lang zu einem Laib gepresst werden. Anschliessend liegen sie zwei Tage im Salzbad. Das Salz entzieht der äusseren Partie des Laibes Wasser, dient der Rindenbildung, dem Aromaaufbau und der Konservierung. Da der Emmentaler über einen vergleichsweise riesigen Durchmesser verfügt, dringt Salz nur langsam in den Käse ein, der deshalb etwas süsslich schmeckt und zu den salzarmen Speisen gehört.

Die Reifung geschieht in drei Etappen: Bei der „Vorlagerung“ während zwei bis drei Wochen im kühlen Salzbadkeller leiten die Bakterienkulturen den Eiweissabbau ein. Im Gärraum entwickeln die Laibe anschliessend während sieben bis acht Wochen bei 20 bis 23 Grad Raumtemperatur die Löcher und den typischen Geschmack.

Die bis 110 Kilogramm schweren Laibe beginnen sich dank der Gärung zu wölben (nicht zu rasch, sonst gibt es Risse); und sie „schwitzen“. Der Käser wischt den Fettfilm von der Rinde und wendet die Laibe regelmässig. Der junge, noch recht fade Käse beginnt dann im Lagerkeller bei 11 bis 14 Grad und einer relativen Luftfeuchtigkeit von circa 70 Prozent zu reifen. Nach etwa drei Monaten übernehmen Handelsfirmen die mächtigen Brocken und lassen sie in eigenen Kellern weiter reifen; sie affinieren (veredeln) sie.

Nach frühestens vier Monaten kann man Emmentaler anschneiden; er schmeckt sehr milde. Je länger man ihn reifen lässt, desto markanter entwickelt sich sein Aroma. Mit der Zeit sammeln sich in den Löchern Tränen aus süsslich-salzigem, mineralienhaltigem Wasser an, es bilden sich darin auch weisse, brüchige Körner, Kasein-Abbauprodukte. Nach acht Monaten Reifung gilt der Emmentaler als „surchoixt“ oder „extra“, nach anderthalb bis zweiJahren Reifung beginnt er sein typisches Aroma zuverlieren - er nähert sich dem Geschmack der alten Zeiten an.


Typisch für den Emmentaler sind die grossen Löcher. Sie entstehen bei der Propionsäuregärung. Die Form kann einen Hinweis auf Qualität und Reife geben. Sie sollten rund sein, aber wenn sie stark oval und zu klein oder gross sind, ist es ein Zeichen für Fehlgärung. Solche Käse schmecken oft unangenehm.


Eine Spezialität ist feucht gereifter Emmentaler. Bei einer Luftfeuchtigkeit von mehr als 90 Grad bildet er eine dunkelbraune, fast schwarze Rinde; „höhlengereifter“ Emmentaler muss mindestens zwölf Monate alt und sechs Monate in einem Felsenkeller feucht gelagert worden sein.

2006 erhielt „Emmentaler Switzerland“ sein AOC - viel zu spät und nicht exklusiv, denn die EU anerkennt es nicht. Dank zahlreicher „exportierter“ Schweizer Käser wurde der Emmentaler bereits im 19. Jahrhundert auch im Ausland, etwa in Deutschland, ein wirtschaftlicher Faktor innerhalb des Käsewesens, so dass man der Schweiz den Ursprungsschutz nicht (mehr) zugestehen will.

Trösten kann man sich immerhin mit derTatsache, dass die ausgewanderten Küher und Käser dem Emmentaler zum Nimbus als THE Swiss Cheese verholfen haben, einer Image-Ikone, die auch mit teils ausgezeichneten, teils fürchterlichen Kopien nicht zu verwischen oder zu zerstören ist - wie nach einer Degustation mit Mustern aus Frankreich, Deutschland, Österreich, Polen, Finnland, Marokko, Südafrika und Bolivien festzustellen war (Tages-Anzeiger). In der Schweiz (2010) liegt der Emmentaler im Verbrauch an vierter Stelle nach Mozzarella, Gruyère und Raclette Suisse, im Export (2010) an erster vor Gruyère und Appenzeller. Die drei wichtigsten Exportländer sind Deutschland vor Italien und Frankreich. (Text: Band 2)

Buchtipp: Das kulinarische Erbe der Schweiz

Von Paul Imhof.
Band 1: Aargau, Luzern, Obwalden, Nidwalden, Schwyz, Zug, Zürich.
Band 2: Bern, Jura, Solothurn, Basel-Landschaft, Basel-Stadt
Band 3: Appenzell Ausserrhoden und Innerrhoden, St. Gallen, Schaffhausen, Thurgau
Leineneinband, 208 Seiten, bebildert. Preis: SFr. 29.-
Echtzeit-Verlag, www.echtzeit.ch

Weiterlesen: Das kulinarische Erbe lebt in Regionalprodukten
(gb)

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