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Druckansicht10.07.2015
Comeback der schwarzen «grünen» Nüsse
Aus unreifen Baumnüssen lässt sich eine Delikatesse herstellen: schwarze Nüsse. Diese traditionelle Spezialität wird in der Schweiz vom ehemaligen Gault-Millau-Koch Martin Slier neu lanciert.



Schwarze Nüsse sind eine Rarität. Die schwarze Farbe ist elegant, der Biss zart aber fest, der Geschmack sehr dezent und säurearm. Die Nüsse sollten daher mit andern dezenten Komponenten wie Vanilleglacé kombiniert werden.


Während Lea Grüninger in Hefenhofen die neuen unreifen Nüsse auf das Förderband tischt, ist es ruhig im karg eingerichteten Industrielokal in St. Margrethen. Dann wieder rattert die Maschine und die mehrmals eingestochenen Nüsse fallen in den bereitgestellten Eimer. Sie hat noch viel zu tun, insgesamt müssen zwei Tonnen grüne Nüsse verarbeitet werden. Die Nüsse sind in Holzkisten gestapelt, eine nach der anderen wird verarbeitet. Eben ist Martin Slier mit einer weiteren Ladung angekommen.

Neben seinem 100-Prozent-Job als Berater und Produktverantwortlicher in der Lebensmittelbranche leitet er seine Firma „Grosi’s Chuchi” heute allein. Früher führte Slier mit dem Landwirt und Nussbaumbesitzer Jürg Gisler aus Flaach das Geschäft mit den schwarzen Nüssen und lancierte das Label „Grosi’s Chuchi”. Vor zwei Jahren ist Gisler aus dem Geschäft ausgestiegen, es wurde dem Landwirt zu gross und passte immer weniger gut zu seinem Spargelanbau und seiner Besenbeiz.


Schwarze (unreife und gekochte) Nüsse sind eine Rarität aber es gibt mehrere Hersteller: Im Bild von der Kooperative Drachenried in Nidwalden. Die Produzentenfamilie Barmettler sagt dazu: In dünne Scheiben geschnitten sind unsere schwarzen Nüsse Geschmacksträger- oder Garnitur-Ergänzung von diversen Vorspeisen über Hauptgerichte, Saucen bis hin zum Dessert verwendbar. Der Sirup eignet sich zum Verfeinern von Wildsaucen und Dressings. Ende Juni ernten wir die ersten voll ausgebildeten, aber noch grünen und unverholzten Nüsse. In einem langwierigen und aufwendigen Verfahren werden die Früchte soweit präpariert, bis sie rund drei Wochen später im Zuckersirup heiss eingefüllt werden können.


Martin Slier wuchs mit niederländischen Wurzeln in Deutschland auf. Er sei schon immer ein kulinarischer Tüftler gewesen und stets auf der Suche nach aussergewöhnlichen, exklusiven Leckereien, erzählt er. So kam er in die Schweiz, arbeitete in noblen Häusern als Küchenchef und eines Tages kam er auf die Idee, die alten Rezepte aus der Pfalz mit den gekochten, schwarzen Nüssen neu auszuprobieren.

Die 40 Nussbäume von Gisler kamen ihm gelegen und so begann die Geschichte mit „Grosi’s Chuchi”. Im Jahr 2008 wurden die ersten grünen Nüsse gepflückt. „Passanten haben sich die Augen gerieben, als wir damals die grünen Nüsse von den Bäumen holten”, erklärt Slier heute.

Das Pflücken der grünen Nüsse sei noch aufwändiger als das Pflücken von Kirschen, sagt auch Felix Scharpff aus Russikon. Es ist ihm an diesem Morgen zu nass und zu rutschig, um auf die Leiter zu steigen. „Die Sache ist heikel, die Baumstämme müssen ganz trocken sein, bis ich hochsteige.” Seine drei Nussbäume sind gegen 15 Meter hoch und dienen vorwiegend den drei Pferden als Schattenplatz. Meist seien die Nüsse einfach runtergefallen, ein Teil davon wurde verschenkt und in der eigenen Küche verwendet.

Im vergangenen Jahr konnte er 60 Kilogramm abgeben, bis jetzt wurden schon fast dieselbe Menge abgenommen und es gibt sicher nochmals 20 bis 30 Kilogramm. Auch er war früher Küchenchef in noblen Häusern und weiss um die Exklusivität der schwarzen Nüsse. Wie Scharpff geht es auch vielen anderen Landwirten mit ihren Nussbäumen. Die Arbeit ist aufwändig und die Leute fehlen, deshalb werden sie oft einfach liegengelassen.



Baumnuss-Ernte (Bild zvg)


Zurück in der Industriehalle in St. Margrethen. In grossen Zubern werden die gepieksten Nüsse nun gewässert. „Das bewirkt, dass die Gerbsäure austreten kann”, erklärt Slier. Bei diesem Prozess verändert sich die Farbe der Nuss durch die Fermentierung, sie wird grau-braun. In einem zweiten Raum stehen die mobilen Einrichtungen für das mehrmalige Kochen, zusammen mit einem Gewürzsirup, dessen Rezept Slier nicht verrät. Anschliessend werden die Nüsse mit dem eingedickten Sirup in Gläser abgefüllt und sterilisiert. Nach einer mehrmonatigen Lagerzeit kommen die Gläser der inzwischen schwarz gewordenen Nüsse in den Handel. Bei den Nüssen ist es wie beim Wein: Je älter desto besser.

Mittlerweile verarbeiten Slier und seine Mitarbeitenden gut zwei Tonnen grüne Nüsse, welche durchschnittlich in 10‘000 Gläser abgefüllt werden. Verkauft werden sie bei Detaillisten, Käsereien, Metzgereien, in einer Schaukäserei, verschiedenen Hofläden und in einem Gastrokanal. Auch online werden die Artikel vom Label „Grosi’ Chuchi”, dazu gehören auch Konfitüren, Alpenheu und weitere Lebensmittel, verkauft. „Der Onlinekanal ist marginal, die meisten Gläser gehen über den Ladentisch eines Detaillisten und das ist auch gut so”, sagt Slier. Der Verkaufspreis liegt zwischen 20 und 30 Franken pro Glas.


Schwarze Nüsse vom Thurgauer Hof Schloss Herdern. Die oft mit Trüffel verglichene Rarität findet in der Gourmetküche als Beilage zu diversen Gerichten Verwendung. Klassisch ist die Garnitur von Vanilleglacé.


Die vergangenen zwei Tage war Slier mit einem Lieferwagen in der Schweiz unterwegs und hat die Nüsse kistenweise eingesammelt. „Ich gehe bei jedem Nussbaumbesitzer, mit dem ich eine Abmachung habe, persönlich vorbei und schaue mir die Nüsse zuerst an, bevor ich sie kaufe.” „Maximal Fünflibergrösse sollten sie sein”, sage er jeweils den Pflückern. „Wenn sie zu gross sind, gehen sie nicht in die Stechmaschine rein und haben in den Gläsern kaum Platz und zu kleine Nüsse sind auf dem Teller zu wenig attraktiv.”

Zudem müssen die Nüsse den richtigen Reifegrad aufweisen. Die beste Reife erreichen die Nüsse meist um den längsten Tag des Jahres herum. Slier vergütet seinen Zulieferern maximal vier Franken pro Kilogramm. Doch weshalb hat sich der einstige Küchenchef auf schwarze Nüsse fixiert? „Weil es ein gutes, innovatives Produkt ist und weil es mir Freude macht, eine Delikatesse für Gourmets zu entwickeln und der gehobenen Gastronomie einen weiteren Leckerbissen zur Verfügung zu stellen.” (Text: LID)

(gb)

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