Foodfachzeitung im Internet
Montag, 30. Dezember 2024
News, Tipps, …
Druckansicht25.10.2018
KOMMENTAR: (Ver)kaufsmotive für Insektenprodukte

Brauchen wir Insektenprodukte? Das ist die falsche Frage. Dann müssten wir uns auch fragen ob wir Schnecken und Froschschenkel brauchen, oder Crevetten, Ananas und alle andern exotischen Produkte. Die richtige Frage lautet: welchen Vorteil bieten sie den Grossverteilern, Gastronomen und den Konsumenten hinsichtlich Kulinarik, Ernährung, Nachhaltigkeit, wirtschaftlichen und emotionalen Faktoren. Hierzu gehören Lifestyle und Neugier, worüber man nur spekulieren kann aber diese sind wohl derzeit die wichtigsten Kaufmotive. Lifestyle ist DER Megatrend, man denke an die vielen Konsumenten, die (teure) allergenfreie Produkte kaufen, obwohl sie nur eine selbst diagnostizierte Unverträglichkeit haben. Viele setzen sich in Szene mit dem was sie essen oder nicht essen – Themen, die sich perfekt für abendfüllende Diskussionen eignen.

Zurück zu den Insekten: Lifestyle ist auch deswegen ein prioritäres Kaufmotiv, weil die andern Botschaften mehr versprechen als sie halten. Für Ernährung und Nachhaltigkeit sind Grundnahrungsmittel wichtig, die in nennenswerten Mengen gegessen werden und nicht Randprodukte. Vor allem müssten dann Insekten kritische Lebensmittel ersetzen und nicht zusätzlich konsumiert werden. Gegen Insektenburger aus Insektenprotein spricht zwar nichts ausser der Tatsache, dass unser Proteinkonsum ohnehin zu hoch ist. Ganze Insekten sind jedoch angesichts ihres Chitingehaltes mit Vorsicht zu geniessen analog zu Pilzen – Chitin ist schwer verdaulich.

Wirtschaftliche Vorteile bieten Insektenprodukte den Konsumenten nicht, im Gegenteil: sie sind so teuer, dass man sie fast als Luxus bezeichnen könnte. Anders in der Gastronomie, wo ganze Insekten als Dekors auf dem Teller landen. Dies im Sinn der trendigen Erlebnisgastronomie und Effekthascherei, die bei vielen Gastronomen herrscht. Nach den Alginatperlen und aromatisierten Schäumchen der Molekularküche bieten jetzt die Gliederfüssler einen neuen Kick. Aber Insekten schmecken neutral und punkten nur mit der Zubereitung, der kulinarische Wert ist eher virtuell.

Zu guter Letzt nützen aber Insekten dem Business der Grossverteiler – bei den stolzen Preisen darf man auch dicke Margen vermuten. Die Migros lancierte Mitte Oktober 2018 drei Speiseinsekten als Ganzes, getrocknet und ungewürzt, unter der Marke Mi Bugs (Mehlwürmer, Grillen, Heuschrecken). Sie sind in Portionenbeuteln in vielen Migros-Filialen sowie über www.leshop.ch erhältlich – zu stolzen Preisen. Umgerechnet kosten 100g durchschnittlich 24 Franken. Zum Vergleich: 100g Bündnerfleisch gibt es im Supermarkt ab 10.-. Die Klubschule Migros bietet dazu passend den Kurs «Kochen mit Insekten» an. Und Coop führt ein Jahr nach Zulassung der Insekten lediglich drei Produkte: Burger mit Mehlwurmanteil von 31% und Fleischbällchen mit 24% Mehlwürmern – beide zum Preis von 53.-/kg. Und ein Riegel mit nur 10% Grillen zu 103.-/kg.

Das Konsummagazin K-Tipp schrieb kürzlich einen Kommentar dazu: Die Insektenprodukte von Coop seien – vorsichtig ausgedrückt – eine Enttäuschung. Und weiter: Die Burger und Fleischbällchen sind so penetrant gewürzt, dass vom angeblich «feinen nussigen Aroma» der Mehlwürmer nichts zu spüren ist. Und der Riegel schmeckt vor allem nach Früchten (fast 90% des Produkts).

Warum soll ein Kunde einen derart hohen Preis für Insekten zahlen, wenn er sie weder sehen, spüren noch schmecken kann? Und warum soll er für Produkte, die zu einem grossen Teil aus billigen Zutaten wie Reis, Kichererbsen, Mehl oder Äpfeln bestehen, einen Kilopreis von 53 bis 103 Franken bezahlen? Coop selber spricht von einer «grossen Nachfrage» und zeigt sich «sehr zufrieden mit den Verkäufen». Der K-Tipp gewann in drei Berner Filialen einen anderen Eindruck. Im Ryfflihof lagen Insektenlebensmittel, die schon seit ein paar Tagen abgelaufen waren ( siehe K-Tipp 11/2018).

Coop wird die Insektenprodukte nur im Sortiment belassen oder ausbauen, wenn es sich lohnt. Derzeit scheint es sich zu lohnen trotz Abschreibern und trotz der Tatsache, dass sich Vegetarier – immer auf der Suche nach Proteinen – nicht angesprochen fühlen. Wenn Neugier und Lifestyle dominieren, sind die Verkaufszahlen kaum nachhaltig. Trendprodukte kommen und gehen. Vielleicht stehen bald Algenproteinprodukte in den Startlöchern, die ebenfalls geschmacksneutral sowier nachhaltig sind und auch Veganer ansprechen. (GB)
(gb)

News, Tipps, … – die neuesten Beiträge
29.12.2024
dTIPP: Pilze als aromatische Alleskönner
27.12.2024
dWISSEN: Urgetreide Khorasan-Weizen und Waldstauden-Roggen
23.12.2024
dTIPP: Weihnachtsguetzli mit weniger Butter und Zucker
22.12.2024
dWISSEN: Was unterscheidet Preiselbeere von Cranberry?
19.12.2024
dFORSCHUNG: Gesunde nachhaltige Omega-3-Fettsäuren aus Algen
18.12.2024dTIPP: Nachhaltig essen mit dem Klimateller
16.12.2024dWISSEN: welche Zuckerart für welche Anwendung?
13.12.2024dFORSCHUNG: Proteinbasierte Süssstoffe als Zuckerersatz
11.12.2024dTIPP: Top 5 Weihnachtsgewürze für Backwaren
09.12.2024dKOMMENTAR: Zeitenwende durch künstliche Intelligenz
05.12.2024dNEWS: Café crème-Gastropreis wieder gestiegen
04.12.2024dFORSCHUNG: Veganer Eiweissschaum-Ersatz aus Erbsen
02.12.2024dTIPP: Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen aber noch geniessbar
01.12.2024dNEWS: Alkoholfreies Bier weiterhin im Trend
29.11.2024dWISSEN: Bei Marzipan und Krokant auf Nachhaltigkeit achten
27.11.2024dTIPP: Hype um Dubai-Schokolade - selber machen statt Schlange stehen
26.11.2024dFORSCHUNG: Futterprägung durch Zuckerkonsum beim Kleinkind
23.11.2024dSAISON: Zwiebel in einer Produktionskrise
22.11.2024dNEWS: Preisschwankungen nicht wegen Nahrungsmittel-Spekulation
21.11.2024dNEWS: Promarca prämiert innovativste Lebensmittel
15.11.2024dWISSEN: Vielseitige Reissorten
14.11.2024dNEWS: Beat Eggs als «Metzger des Jahres 2024» ausgezeichnet
12.11.2024dNEWS: Revision der NOVA-Verarbeitungsgrad-Klassifikation
11.11.2024d FORSCHUNG: Fermentierte Apfelblüten als Functional Food
07.11.2024dNEWS: Hohe Gesundheitsgefahr durch Coffeinpulver-Überdosierung
05.11.2024dNEWS: Veganes darf Wurst oder Schnitzel heissen gemäss EuGH
04.11.2024dSAISON: Herbstrübe nicht nur für Räbeliechtli
03.11.2024dNEWS: Offiziell beste Bäcker-Konditor-Confiseur-Produkte prämiert
31.10.2024dNEWS: Bundesrat verabschiedet Anti-Foodwaste-Massnahmen
30.10.2024dNEWS: Migros senkt Obst/Gemüse-Preise und fördert Eigenmarken
©opyrights ...by ask, ralph kradolfer, switzerland