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Druckansicht06.04.2022
KOMMENTAR: Töten männlicher Legehennen-Küken, eine Gratwanderung

Kükentöten ist ethisch fragwürdig – das weiss auch die Schweizer Geflügelbranche. Immer stärker wurden in den letzten Jahren die Rufe, die Praxis einzustellen. Nach Kräften bemüht sich die Branche deshalb um Lösungen. Der Ausstieg ist aber anspruchsvoll und muss durchdacht sein, denn mehr Ethik hat einen hohen Preis und man gerät leicht vom Regen in die Traufe.

Früher stammten Eier und Fleisch vom selben Huhn: Die Hennen legten die Eier und die Hähne wurden gemästet und befruchteten die Hennen. Wie in anderen Bereichen führte die stark wachsende Bevölkerung aber auch im Bereich der Eier- und Geflügelfleischproduktion zu einer Intensivierung. Um der Nachfrage gerecht zu werden und die Ressourceneffizienz zu verbessern, wurden verschiedene Hühnerrassen gezüchtet. Die einen eignen sich besonders für das Eierlegen, die anderen zur Mast.

Da Hähne keine Eier legen und die männlichen Tiere der Legerassen im Vergleich zu den Mastrassen nicht gut Fleisch ansetzen, hat sich aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und der Produktqualität die Praxis des Kükentötens entwickelt. In der Schweiz fanden diese sogenannten Eintagsküken als tierische Nebenprodukte bisher etwa Verwertung als Tierfutter oder in Biogas- und Kompostierungsanlagen.

Ausstieg terminiert

In den letzten Jahren geriet die Geflügelbranche wegen des Kükentötens sowohl gesellschaftlich als auch politisch zunehmend unter Druck. Mitte Dezember des letzten Jahres kamen in der Schweiz erste konkrete Pläne auf den Tisch, wie der Ausstieg aus dem Kükentöten bewerkstelligt werden soll: Die Vereinigung der Schweizer Eierproduzenten Gallo Suisse legte eine Branchenlösung vor, die diesen Ausstieg bereits bis Ende 2023 anstrebt. «Die Gesellschaft akzeptiert dieses Vorgehen nicht mehr und wir versuchen nun, dem gerecht zu werden – ausserdem sind wir Produzentinnen und Produzenten diejenigen, die die Tiere tagtäglich umsorgen und es ist auch uns ein Anliegen, dass wir eine gute Lösung finden», erklärt Daniel Würgler, Präsident von Gallo Suisse.

Ausserdem sei die Zeit reif für einen konsequenten Entscheid, ergänzt David Herrmann von Bio Suisse: «Zumal in Deutschland und Frankreich neue Gesetze umgesetzt werden und infolgedessen auch hier die mediale Aufmerksamkeit für das Thema steigt.» Denn Nachbar Deutschland hat bezüglich Kükentöten bereits reagiert: In Deutschland dürfen keine Küken mehr getötet werden und das entsprechende Verbot wird seit Anfang Jahr vom deutschen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) durchgesetzt. So müssen die Eier mit männlichen Embryonen zu einem frühen Zeitpunkt aussortiert werden oder die männlichen Küken müssen aufgezogen werden.

«Durch unsere Förderung stehen den Brütereien unterschiedliche Alternativen zur Verfügung: die Geschlechtererkennung im Ei, die Aufzucht der männlichen Tiere als sogenannte Bruderhähne und die Verwendung von Zweinutzungshühnern», erklärt Ellen Grosshans, eine Sprecherin des BMEL. Das Gesetz sei verfahrensneutral und könne also auf unterschiedliche Weise umgesetzt werden. Somit würden die Marktbeteiligten entscheiden, ob und in welchem Umfang beispielsweise das Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei angewendet wird oder ob die männlichen Küken aufgezogen werden, ergänzt sie weiter.

Ausstieg mit negativen Folgen?

Ersten Berichten zufolge funktioniert der Ausstieg nicht so gut wie erhofft: So sollen Kükenimporte und fehlende Mastplätze für Bruderhähne nur einige Folgen des Kükentöten-Verbots in Deutschland sein. Tierschutzverbände bezweifeln ausserdem den Fortschritt beim Tierwohl, unter anderem, weil «überschüssige» Bruderhahn-Küken beispielsweise nach Polen exportiert werden, wo gesetzliche Standards fehlen.

Ausserdem gibt es laut diesen Berichten in Deutschland noch keinen Markt für das Fleisch der Bruderhähne und es landet als Billigfleisch anderswo. Und da die Schweizer Eierbranche eine ähnliche Lösung ansteuert wie Deutschland, stellt sich die Frage, ob der Ausstieg aus dem Kükentöten überhaupt nachhaltig gelingen kann. «Genau das ist die Herausforderung», sagt Daniel Würgler, Präsident von Gallo Suisse.

Denn Gallo Suisse ist sich den nachfolgenden Problemen durchaus bewusst. «Die vorgelegte Branchenlösung löst den ethischen Missstand des Kükentötens – ökonomische sowie auch ökologische Aspekte müssen aber zwingend auch miteinbezogen werden», gibt Daniel Würgler weiter zu bedenken. Der Vorschlag sieht vorerst vor, dass in beiden konventionellen Schweizer Brütereien ab Ende 2023 das Geschlecht mit der sogenannten In-Ovo-Technologie noch im Brutei bestimmt wird und nur noch weibliche Küken ausgebrütet werden.

Bio Suisse geht einen anderen Weg und verbietet seinen Produzentinnen und Produzenten ab 2026 die Bruteibestimmung, stattdessen sollen diese auf Zweinutzungsrassen oder auf die Bruderhahnmast setzen. «Jede Alternative zur gängigen Praxis des Kükentötens hat aber ihre Vor- und ihre Nachteile», bestätigt auch David Herrmann.

Ist die Technologie bereit?

Zwar ist die Geschlechterbestimmung im Ei laut dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) mittlerweile bis spätestens am 10. Bruttag mit akzeptabler Sicherheit auch unter industriellen Bedingungen in vernünftiger Zeit und automatisiert machbar. «Ein Schmerzempfinden der Hühnerembryonen ist auf Grund unserer Literaturrecherche in wissenschaftlichen Publikationen bis am 10. oder 11. Bruttag unwahrscheinlich, sodass es vertretbar ist, die Embryonen im Ei unmittelbar nach der Geschlechterbestimmung mit einer sehr rasch wirkenden Methode zu töten», sagt Doris Schneeberger vom BLV. Ob der zeitnahe Ausstieg aus dem Kükentöten mit der In-Ovo-Technologie aber gelingt, hängt auch davon ab, ob die nötige Infrastruktur für eine automatisierte Geschlechterbestimmung und einen rasch wirkenden Abbruch des Brutprozesses bis Ende 2023 verfügbar ist.

Und genau in diesem Bereich hat auch Daniel Würgler noch seine Bedenken: «Die Technologie verspricht viel, aber ob sie unter normalen Praxisbedingungen einwandfrei funktioniert, wird sich erst zeigen.» Die entsprechende Maschine würde über Monate mehrere Stunden am Tag laufen, denn pro Brüterei müssten mehrere Millionen Eier untersucht werden.

Eine Panne hätte äusserst ungünstige Auswirkungen, denn das Testen der Eier kann nicht so einfach um ein paar Tage verschoben werden. «Andererseits könnten die Dimensionen in der Schweiz gerade ideal sein, um die Technologie dem Härtetest unterzuziehen», meint Daniel Würgler. Nachhaltig ist diese Lösung allerdings nur, wenn die zerstörten Eier beispielsweise als Futtermittel verwendet werden können. Laut BLV sei es hierbei sinnvoll, eine Methode zu finden, bei der keine Rückstände eine Nutzung als Futtermittel ausschliessen würde.

Kehrseiten der Medaille

Aber auch bei der alternativen Mast der männlichen Tiere der Zweinutzungsrassen oder bei der Bruderhahnmast wirft die Frage der Nachhaltigkeit Schatten. «Die Mast dauert insbesondere bei der Bruderhahnmast wegen der geringeren Futterverwertung länger und Tiere müssen wesentlich länger gemästet werden, um auf ein akzeptables Schlachtgewicht zu kommen und damit die Qualität des Fleisches den Erwartungen der Konsumenten entspricht», erklärt Doris Schneeberger vom BLV.

Das bedeute allenfalls mehr (Import-)Futter und mehr Aufzucht- und Mastplätze, die länger belegt werden müssten und das wiederum würde grössere oder mehr Ställe, mehr Gülle und mehr Emissionen pro Kilogramm Pouletfleisch bedeuten. Darüber machte sich auch Bio Suisse Gedanken: «Wir standen vor dem Dilemma, ein ethisches Problem möglichst ethisch konsequent und gleichzeitig auch nachhaltig zu lösen – beides zusammen geht nicht», sagt David Herrmann.

Lernkurve

«Die Sache ist komplex und die Tragweite der Markttransformation gross – es ist deshalb sehr aufwändig, gemeinsam mit allen Akteuren des Marktes ein gemeinsames Ziel zu entwickeln und es braucht Zeit», gibt er weiter zu bedenken. Der Masterplan liegt also noch nicht vor und die Branche wird in den nächsten Jahren viel lernen, die Schlüsse daraus ziehen und die entsprechenden Anpassungen machen müssen. Dafür muss ihr aber die Zeit und die Unterstützung gewährt werden.

Das zeigt auch das Beispiel Deutschland, wo erste Anpassungen sich bereits aufdrängen: Grundsätzlich gelten für die Haltung von Bruderhähnen die Anforderungen der dortigen Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung für Masthühner. «Da sich gezeigt hat, dass diese Anforderungen den besonderen Ansprüchen der Bruderhähne nicht gerecht werden, ist geplant, entsprechende spezifische Anforderungen in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung zu ergänzen», erklärt Ellen Grosshans, Sprecherin des BMEL.

Und dass die Branche den Ausstieg nicht im Alleingang bewerkstelligen kann, zeigt sich beispielsweise dadurch, dass Deutschland den Import und Export von Eiern oder auch Küken in Länder mit weniger hohen Standards nicht unterbinden kann. «Das Verbringen von Schaleneiern, Bruteiern, Junghennen oder Legehennen kann aufgrund des freien Warenverkehrs innerhalb der Europäischen Union nicht verboten werden – verschiedene Handelsketten haben sich allerdings bereits zu kükentötenfreien Lieferketten und der Versorgung mit entsprechenden Eiern und Eiprodukten bekannt», lobt Ellen Grosshans die Unterstützung entlang der Kette. Im Nachbarland werden die Schwachstellen also bereits laufend ausgemerzt.

Ein Anfang

Auch Daniel Würgler mahnt, dass die vorgezeichnete Branchenlösung erst ein Schritt sei und dass viele weitere folgen müssten – insbesondere auch von den vor- und nachgelagerten Partnern. Denn entscheidend sei, dass auch diese den Ausstieg mittragen und die Produktion nicht auf den Mehrkosten, die dieser Ausstieg mit sich bringt, sitzen bleibe.

Aus dem Kükentöten auszusteigen, ist das erste kurzfristige Ziel auf dem Weg in Richtung einer Lösung, die sowohl den Produzentinnen und Produzenten, die mit der Eierproduktion ihren Lebensunterhalt verdienen, als auch den restlichen Akteuren in der Handelskette gerecht wird. Es ist ein Anfang: «Jetzt haben wir gemeinsam mit der ganzen Branche einen ambitionierten, aber machbaren Weg gewählt und alle ziehen an einem Strang – deshalb sind wir zuversichtlich, dass wir das Ziel erreichen werden», meint David Herrmann von Bio Suisse und Daniel Würgler ergänzt: «Wenn man nie etwas wagt, erreicht man nie etwas – und wir wagen nun eine erste Brückenlösung.» (LID)
(gb)

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