In den letzten Jahren ist die Zahl der Menschen stark gestiegen, die von Zöliakie, Weizenallergie oder Gluten- / Weizensensitivität betroffen sind. Doch warum ist dies so? Enthalten moderne Weizensorten mehr immunreaktives Eiweiss als früher? Nein aber die Umweltbedingungen haben Einfluss.
Weizenkörner bestehen zu etwa 70 Prozent aus Stärke. Ihr Eiweissanteil liegt in der Regel bei 10 bis 12 Prozent. Gluten, das sogenannte Klebereiweiss, macht davon mit etwa 75 bis 80 Prozent den Löwenanteil aus. Es handelt sich bei Gluten um ein Stoffgemisch aus verschiedenen Eiweissmolekülen. Diese lassen sich grob in zwei Untergruppen einteilen: die „Gliadine“ und die „Glutenine“.
Seit langem ist bekannt, dass Weizeneiweisse Erkrankungen wie Zöliakie oder Weizenallergien auslösen können. Etwa 1 bzw. 0,5 Prozent der erwachsenen Weltbevölkerung sind betroffen. Zudem gewinnt die Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität (NCGS) in der westlichen Welt immer mehr an Bedeutung.
„Viele Menschen befürchten, dass moderne Weizenzüchtungen mehr immunreaktives Eiweiss enthalten als früher und dies die Ursache für die gestiegene Erkrankungshäufigkeit ist“, sagt Darina Pronin vom Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie. Hinsichtlich des Glutens stünde insbesondere die Eiweissgruppe der Gliadine im Verdacht, ungewünschte Immunreaktionen hervorzurufen, so die Lebensmittelchemikerin weiter.
60 Weizensorten aus der Zeit von 1891 analysiert
Doch wie gross sind die Unterschiede zwischen alten und neuen Weizenzüchtungen wirklich? Um zur Klärung der Sachlage beizutragen, untersuchte das Team um Katharina Scherf am Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie den Eiweissgehalt von 60 bevorzugten Weizensorten aus der Zeit zwischen 1891 und 2010.
Wie Analysen des Wissenschaftlerteams zeigen, enthalten moderne Weizensorten insgesamt etwas weniger Eiweiss als alte. Der Glutengehalt blieb dagegen über die letzten 120 Jahre konstant, wobei sich die Zusammensetzung des Glutens jedoch leicht veränderte. Während der Anteil der kritisch gesehenen Gliadine um rund 18 Prozent sank, stieg im Verhältnis der Gehalt der Glutenine um etwa 25 Prozent an. Darüber hinaus beobachteten die Forschenden, dass mit einer höheren Niederschlagsmenge im Erntejahr auch ein höherer Glutengehalt der Proben einherging.
Umweltbedingungen sind entscheidender als die Weizensorte
„Überraschenderweise hatten Umweltbedingungen wie die Niederschlagsmenge, sogar einen grösseren Einfluss auf die Eiweisszusammensetzung als die züchterischen Veränderungen. Zudem haben wir zumindest auf Eiweissebene keine Hinweise darauf gefunden, dass sich das immunreaktive Potential des Weizens durch die züchterischen Massnahmen verändert hat“, erläutert Katharina Scherf.
Hintergrundinformationen:
Weizen ist eine der wichtigsten Kulturpflanzen und in vielen Ländern ein bedeutendes Grundnahrungsmittel. „Gliadine“ und „Glutenine“ unterscheiden sich in ihren molekularen Eigenschaften und beeinflussen so in unterschiedlicher Weise das Backverhalten eines Teiges. Gliadine spielen eine Rolle für die Viskosität und Dehnbarkeit eines Teiges. Die Glutenine bilden dagegen aufgrund ihrer Moleküleigenschaften ein durchgängiges Netzwerk, das für den Dehnwiderstand und die Elastizität des Teiges verantwortlich ist. Sie gehören in vernetzter Form zu den grössten natürlich vorkommenden Eiweissmolekülen.
(Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie)
(gb) |