Der Bundesverband der Regionalbewegung e.V. (BRB) machte
auf dem Pariser Platz in Berlin mit einer öffentlichkeitswirksamen Aktion auf den dramatischen Rückgang der Lebensmittelhandwerksbetriebe aufmerksam. „Metzger, Bäcker, Gastwirte und Landwirte, die
handwerklich im regionalen Wirtschaftskreislauf arbeiten, sind die Gestalter
und Garanten unserer kulinarischen Vielfalt und akut vom Aussterben bedroht“,
warnt Heiner Sindel, 1. Vorsitzender des BRB. Angelehnt an die Rote Liste der
Artenvielfalt, weist die Regionalbewegung auf das Sterben der Nahversorgerstrukturen hin.
Medienwirksam wurde der Einzug der letzten Exemplare ihrer Art, des handwerklichen
Metzgers, des handwerklichen Bäckers, des Gastwirts im ländlichen Raum sowie des
kleinen Landwirts in das Wachsfigurenkabinett inszeniert – um zumindest der Nachwelt
erhalten zu bleiben.
Basierend auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes ergibt sich für vier ausgewählte Bereiche der Nahversorgung eine alarmierende Realität. Die Anzahl der Bäckerhandwerksbetriebe hat sich von 1998 bis 2018 um 49 % drastisch reduziert. Im Metzgerhandwerk
sind im gleichen Zeitraum ebenfalls 49 % der Betriebe geschlossen worden. Die Anzahl
von kleinen landwirtschaftlichen Betrieben (bis 50 ha Fläche) ist seit Mitte der 1990er
Jahre um 48 % zurückgegangen. Für Wirtshäuser (insbesondere Schankwirtschaften) ist
der Rückgang mit 59 % seit 1994 am dramatischsten.
Keiner kann in die Zukunft sehen, aber man kann Entwicklungen verfolgen, und wenn
kein Umdenken und entsprechendes Handeln stattfindet, dann sind diese vier Repräsentanten der Nahversorger in 15-20 Jahren ausgestorben.
Auf der Grundlage der erhobenen Zahlen lassen sich folgende Szenarien ableiten: Bäckerhandwerksbetriebe sterben bis 2039 aus, Metzgerhandwerksbetriebe wird es 2037
nicht mehr geben, im Jahr 2036 trifft es die kleinen landwirtschaftlichen Betriebe, und
schon 2034 schliesst die letzte Schankwirtschaft ihrer Art.
„Kleine Lebensmittelhandwerker sind ein unerlässliches Element im regionalen Wirtschaftskreislauf“, betont Heiner Sindel. „Ohne ihre Arbeit gibt es keine glaubwürdig regionalen Produkte, keine regionalen Verkaufsstellen, keine regionalen Einkehrmöglichkeiten“, so Sindel weiter. Trotz ihrer Relevanz im Alltag von jedem Einzelnen sind die
Gründe des Verschwindens allseits bekannt: fehlende Fachkräfte, fehlende Nachfolge,
zeitfressende Bürokratie, steigende Preise für Pacht und Kauf von landwirtschaftlichen
Flächen, fehlende Wertschätzung von Handwerksberufen, Veränderungen in der Sozialstruktur – diese „Todesursachen“ sind jedoch auch politisch forciert und müssen aus
Sicht der Regionalbewegung dringend korrigiert werden.
Klimaschutz durch kurze Wege
„Wenn wir uns ernsthaft diesem Strukturbruch und dem Klimawandel entgegen stellen
wollen, müssen regionale Wirtschaftskreisläufe mit dezentralen Strukturen sowohl Teil einer zukünftigen Klima- als auch Lebensmittelpolitik sein“, fordert die Regionalbewegung.
Kurze Wege vom Erzeuger zum Verbraucher sorgen für weniger Verkehrsströme und sparen Energie. Es muss ein rigoroses Umdenken in der Förderpolitik erfolgen, von der bisher wenige Alphatiere der Lebensmittelindustrie auf Kosten des Handwerks und der bäuerlichen Landwirtschaft profitieren, damit sich Kleinst- und kleine Betriebe in diesem Haifischbecken behaupten können und fairen Rahmenbedingungen ausgesetzt sind. Überbordende bürokratische Auflagen müssen auf ein notwendigstes Mass zurückgefahren
werden.
Politisch unterstützte Konzentrationsprozesse in der Wirtschaft lassen die Kleineren durchs Raster fallen. „Es gibt keine gerechte Globalisierung ohne starke Verwurzelung in den Regionen, in denen Kleinst-, kleine und mittlere Betriebe dominieren. Für die
gesellschaftliche Breite und ein gutes Gefühl des „Nicht-Abgehängt-Seins“, vor allem in
den ländlichen Räumen der Republik, ist eine Regionalisierung der Ernährungswirtschaft
unerlässlich“, betont der Vorsitzende der Regionalbewegung.
Dem Klimakabinett der
Bundesregierung bietet die Regionalbewegung die aktive Mitarbeit und Beratung zur Sicherung und dem innovativen Ausbau der Nahversorgerstrukturen auf kurzen Wegen an.
Gleichzeitig empfiehlt sie ein „Bundesprogramm Regionale Wertschöpfung“ aufzulegen,
das nicht nur Lippenbekenntnis für die kleinen Handwerksbetriebe ist, sondern adäquat
mit Finanzmitteln in Milliardenhöhe ausgestattet ist, um über eine Giesskannenförderung
hinaus tatsächlich Teil zukünftiger Klimaschutzmassnahmen zu werden.
(Quelle: Bundesverband der Regionalbewegung e.V. www.regionalbewegung.de)
(gb) |