Die Forscher verwenden neue, massgeschneiderte Proteine. Die Ausgangsstoffe bilden Natur-Proteine aus Erbsen oder Raps. Unterstützt werden die neuen Protein-Alternativen durch natürliche Saponine aus Quinoa-Samen.
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Gluten ist eines der grössten natürlichen Proteine und hat fantastische Eigenschaft: Einen gut gegärten Teig hält es so lange luftig, bis das Backen die offenporige Struktur stabilisiert. Prof. Dr. Mario Jekle von der Universität Hohenheim in Stuttgart arbeitet an Verfahren, bei denen ausgewählte Proteine z.B. aus Erbsen, Raps, Reis oder Mais das Gluten-Protein direkt ersetzen, oder sich zu Ketten mit gluten-ähnlichen Eigenschaften verknüpfen lassen.
Saponine aus Gänseblümchen und Quinoa-Samen oder sogenannte Schleimstoffe aus Getreideschalen unterstützen den Aufbau eines luftigen Teiges zusätzlich – und reichern ihn teilweise mit wertvollen Ballaststoffen an.
Chemisch-physikalisch ist Gluten dagegen ein höchst spannendes Protein, findet Prof. Dr. Mario Jekle, der Leiter des Fachgebietes Pflanzliche Lebensmittel. „Gluten ist nicht nur eines der grössten bekannten Proteine auf der Welt. Beim Backen hat es herausragende Eigenschaften“, so der Lebensmittelwissenschaftler. Tatsächlich könne man sich einen voll gegärten Teig als eine Art Schaum vorstellen, der beim Backen erstarrt. Das Protein Gluten verleiht diesem Schaum Struktur und stützt ihn, damit er nicht vorzeitig zusammenfällt.
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Bei klassischen Backwaren dient Gluten als Stützgerüst
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Genau daran hapert es bei vielen glutenfreien Backwaren: Die Zutaten „aufzuschäumen“ sei kein Problem. Das gelänge durch Rühren oder Hefe, Backpulver und andere Triebmittel genauso wie beim klassischen Weizenmehlteig. „Was bislang kaum gelingt, ist, die vielen kleinen Gasbläschen ohne das stützende Gluten-Gerüst im Teig zu halten.“
Die besondere Herausforderung beim Experiment ist die Rezeptur: Der Teig ist komplett glutenfrei und soll trotzdem locker-luftige und wohlschmeckende Backwaren produzieren.
Abhilfe sollen Protein-Ketten aus Natur-Proteinen schaffen
Mit ihrer aktuellen Forschung schlagen die Lebensmittelforscher:innen der Universität Hohenheim deshalb einen neuen Weg ein: „Statt den Teig mit Gluten zu stützen, konzentrieren wir uns darauf, die Grenzfläche zwischen Gasbläschen und Teig mit alternativen Proteinen zu stabilisieren“, so Prof. Dr. Jekle. Dazu verwenden die Wissenschaftler:innen um den Lebensmittelwissenschaftler neue, massgeschneiderte Proteine.
Die Ausgangsstoffe bilden Natur-Proteine aus Erbsen oder Raps, aus denen der Lebensmittelwissenschaftler die optimalen Proteine extrahiert. Unterstützt werden die neuen Protein-Alternativen durch natürliche Saponine. Gewonnen werden diese aus Quinoa-Samen – oder aus Stängeln, Blättern und Blüten von Gänseblümchen. Weiteres Potential sieht Prof. Dr. Jekle in der Pflanzenzucht: „Wenn wir die Anforderungen genau definieren, können wir zusammen mit den Pflanzenzüchtern zielgerichtet neue Erbsensorten züchten, deren Proteine sich noch besser für unseren Ansatz eignen.“
Weiterer Ansatz beschert zusätzliche Ballaststoffe
In einem anderen Ansatz versucht das Fachgebiet natürliche Proteine aus Reis, Mais oder Hafer mit Schleimstoffen zu verketten, sogenannte Arabinoxylane. Diese Schleimstoffe befinden sich in fast allen Getreideschalen, die auch als Kleie oder Viehfutter verwendet werden. Es ist ein Ansatz mit Zusatznutzen, denn so reichert die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Jekle die Backwaren mit wertvollen Ballaststoffen an. Deren Bedeutung unterstreicht auch Ernährungsmediziner Prof. Dr. Bischoff von der Universität Hohenheim. „Um ein Beispiel zu nennen: 30 Gramm Ballaststoffe am Tag sind bereits eine gute Vorbeugung gegen Dickdarmkrebs, eine der drei häufigsten Krebsarten bei Männern und Frauen.“
Die Lebensmittlwissenschaftler:innen der Universität Hohenheim planen deshalb, den Einsatz von Arabinoxylanen auch in anderen Lebensmitteln zu erforschen – etwa in Fleischersatzprodukten. Das Spannende daran: Der Ansatz ermöglicht nicht nur Ersatzprodukte mit einer fleischähnlichen Struktur, die Ballaststoffen bescherten ihnen auch noch einen ziemlich einmaligen Zusatznutzen. Bislang gäbe es noch keine vergleichbaren Produkte auf dem Markt.
Noch sind es kleine Brötchen, die derzeit im Technikum der Lebensmittelwissenschaften vom Band laufen. Gerade einmal so gross wie Waggons einer Modelleisenbahn sind die Gebäckstücke, die Natalie Feller in kleinen Silikon-Kastenförmchen mit je 30-Gramm Teig auf das handbreite Förderband portioniert. Gut zwei Meter Wegstrecke lang werden die Mini-Brötchen mit Feuchtigkeit bedampft. Danach folgen zwei weitere Meter im Durchlauf-Backofen. Am Ende der Mini-Backstrasse kommen die Testgebäcke goldgelb und dampfend wieder ans Licht.
Gluten als Problem-Protein in der Ernährung
Bei zwei bis drei Prozent der Bevölkerung erweist sich Gluten als Problem-Protein: „Wir kennen inzwischen drei Krankheitsbilder, die mit Gluten zusammenhängen“, berichtet Prof. Dr. med. Stephan Bischoff vom Institut für Ernährungsmedizin der Universität Hohenheim.
Die bekannteste sei die Zöliakie, eine Mischung aus Allergie und Autoimmunerkrankung. Ähnlich weit verbreitet sei die Weizenallergie, die durch Gluten und ähnliche Peptide ausgelöst werde.
Hinzu käme als drittes Krankheitsbild noch die Weizensensitivität, die bislang noch am wenigsten erforscht sei. „Noch ist nicht klar, durch was die Weizensensitivität genau auslöst wird und ob Gluten auch in diesem Fall eine Rolle spielt. An unserem Fachgebiet beschäftigen wir uns deshalb intensiv mit diesem Rätsel.“
Vor allem Patient:innen, die an Zöliakie leiden, bleibt im Alltag nur eine Abhilfe: auf glutenfreie Lebensmittel zurückzugreifen. (Uni Hohenheim)
(gb)