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Ecke für Profis  29.10.2021
LANDWIRTSCHAFT: Gentechnik versus Pestizide
Kürzlich hat der Nationalrat für eine erneute Verlängerung des Gentech-Moratoriums gestimmt – ganz im Interesse des Bundesrats. Im Hinblick auf die Pestizide, Klimawandel und Artensterben fragt sich: Ist diese Verlängerung fahrlässig oder umsichtig?

Feldversuch mit gentechnisch-verändertem Weizen


Seit der Annahme einer entsprechenden Volksinitiative im Jahr 2005 gilt in der Schweiz ein Moratorium für die Verwendung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in der Landwirtschaft. GVO dürfen hierzulande nur zu Forschungszwecken unter strengen Auflagen angebaut werden. Seither wurde das Gentech-Moratorium dreimal verlängert und eine erneute Verlängerung bis 2025 scheint nur noch Formsache – die Abstimmung des Ständerats steht noch aus, aber auch in der kleinen Kammer dürfte der Widerstand ausbleiben. Somit bleibt der kommerzielle Anbau von Gentechpflanzen in der Schweiz mit grösster Wahrscheinlichkeit auch weiterhin verboten, ganz unabhängig davon, mit welcher Methode diese gezüchtet wurden.

Und hier präsentiert sich das erste Problem: Gentechnologie ist nicht gleich Gentechnologie. Als 2005 über das Gentech-Moratorium abgestimmt wurde, waren die gentechnologischen Verfahren noch nicht so weit und gesicherte Erfahrungswerte gab es nur bei der klassischen Gentechnik: Bei der dieser werden neue Gene in eine Pflanzenzelle eingeschleust, die das vorhandene Erbgut verändern sollen. Wo genau und wie häufig die neuen «fremden» Gene eine gentechnische Veränderung am Erbgut hervorrufen, ist allerdings zufällig. In der klassischen Gentechnik müssen Forscherinnen und Forscher darum auch lange suchen, bis sie eine Zelle finden, bei der die gentechnische Veränderung so funktioniert hat, wie es beabsichtigt war.

Im Gegensatz zur klassischen Gentechnik gehört die sogenannte Genom-Editierung zu den neueren Verfahren der Gentechnologien. Bei der Genom-Editierung werden mithilfe von Proteinen oder Ribonukleinsäure genau die Sequenzen im Erbgut identifiziert, die verändert werden sollen. Mit der Genom-Editierung sind gentechnische Veränderungen also sehr präzise herbeizusteuern. Die mittlerweile am häufigsten angewandte Methode zur zielgerichteten Veränderung von Erbinformation ist CRISPR/Cas – auch oft als «Genschere» bezeichnet. Genom-Editierungsmethoden ermöglichen präzisere, einfachere und kostengünstigere Genveränderungen als bisher.

Nutzen wird hinterfragt

Trotz den riesigen Fortschritten, welche die Gentechnologie nur schon in den letzten zehn Jahren gemacht hat, bleibt ihre Anwendung umstritten und trifft nach wie vor auf viel Misstrauen. Unter anderem der Schweizer Bauernverband (SBV) hat sich deswegen für die Verlängerung des Gentech-Moratoriums eingesetzt: «Es gibt aktuell keine einzige gentechnisch veränderte Nutzpflanze, die der Schweizer Landwirtschaft einen effektiven Nutzen und Mehrwert bringen würde», erklärt Sandra Helfenstein vom SBV die Zurückhaltung.

Den fehlenden Nutzen prangert auch die Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG) an. Tendenziell führe der Einsatz von Gentechnik ausserdem zu einer weiteren Intensivierung der Landwirtschaft, da sie auf grossflächigen Anbau unter Einsatz von externen Zusatzstoffen wie Dünger und Pflanzenschutzmittel setze, was zu einem Rückgang der Arten- und Sortenvielfalt und zu einer Vereinheitlichung des Angebotes führen würde, argumentiert Paul Scherer von der SAG. «Die neuen Gentechnikverfahren setzen in erster Linie ausserdem auf die Herstellung von Herbizidresistenzen, da diese im Gegensatz zu komplexeren Eigenschaften wie Dürreresistenzen oder anderen klimarelevanten Eigenschaften, einfach herzustellen sind», meint er weiter. Auch die neuen Gentechnikverfahren dienten so lediglich der Symptombekämpfung und leisteten keinen Beitrag zur langfristigen Problemlösung.

Profit für Mensch und Umwelt

Ganz anders tönt es von Seiten Forschung: Nutzen und Mehrwert für die Landwirtschaft sei durchaus zu erwarten, zum Teil sogar bereits greifbar. So ist es Forschenden der ETH Zürich gelungen – allerdings noch mittels herkömmlicher gentechnischer Methoden – Feuerbrand-resistente Apfelpflanzen zu züchten, die im Gewächshaus bereits vielversprechende Resultate gezeigt haben und von 2016 bis 2020 auf der Protected Site am Standort Reckenholz des nationalen landwirtschaftlichen Forschungsinstituts Agroscope in einem Feldversuch weiter getestet wurden. Die Übertragung des Gens aus dem Wildapfel könnte heute beispielsweise mit CRISPR/Cas viel gezielter und besser durchgeführt werden, erklärt Roland Peter, Leiter Pflanzenzüchtung von Agroscope.

Die Aufhebung des Moratoriums wäre darum gerade für die Landwirtschaft, die unter grossem Druck steht und nachhaltiger werden will, eine Chance in vielerlei Hinsicht: «Neue Züchtungsmethoden haben ein grosses Potential, die Herausforderungen der Land- und Ernährungswirtschaft zu meistern – etwa wenn es darum geht, Pflanzenschutzmittel zu reduzieren und gleichzeitig die Ernte zu sichern.» Zudem brauche es im Hinblick auf den Klimawandel neue, resistente Sorten. Daneben könnte die Schweiz als Forschungsstandort international gewinnen. Die Züchtung würde einen Boost erhalten, womit der Praxis schneller innovative Lösungen zu Verfügung gestellt werden könnten, ergänzt Roland Peter.

Und die Konsumenten?

Das Gentech-Moratorium sei nur schon darum gerechtfertigt, weil Konsumentinnen und Konsumenten nach gentechfreien Lebensmitteln verlangten, heisst es oft. Klar ist, 2005 haben fast 56 Prozent des Schweizer Stimmvolkes das Gentech-Moratorium angenommen und sich gegen den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen ausgesprochen. Seither hat es keine Volksabstimmung zu Gentechnologie mehr gegeben – Umfragen hingegen schon.

Und die zeigten unter anderem, dass die gentechnikkritische Haltung der Bevölkerung nicht abgenommen habe, meint Paul Scherer: «Die Skepsis der Bevölkerung gegenüber der Gentechnik wächst sogar – in der Taschenstatistik ‹Umwelt 2020› des Bundesamtes für Statistik erachteten rund 75 Prozent der Befragten 2019 Gentechnik zur Herstellung von Lebensmitteln als sehr gefährlich oder eher gefährlich.» Die Bevölkerung und damit die Kundschaft stehe gentechnisch verändertem Essen nach wie vor kritisch gegenüber. «Die Gentechfreiheit ist damit ein Unique Selling Point und Alleinstellungsmerkmal der Schweizer Landwirtschaft, das wir nicht unnötig aufs Spiel setzen möchten», ergänzt Sandra Helfenstein.

Umfragetaktik ist ausschlaggebend

Bei vielen dieser Umfragen gebe es aber eine methodologische Problematik, relativiert Angela Bearth, Sozialwissenschaftlerin und Vizepräsidentin des Forums Genforschung an der ETH Zürich. «Es ist ausschlaggebend, wie man die Leute fragt», erklärt sie. Bei der häufig zitierten Studie des Bundesamts für Statistik sei beispielsweise gefragt worden, wie gefährlich man Gentechnik finde. Und indem man direkt nach der Gefahr gefragt habe, sei auch gleich der Rahmen gesetzt worden: «Die Frage ist nicht mehr, ob es gefährlich ist, sondern nur noch wie gefährlich.»

Die erhaltenen Antworten seien darum wahrscheinlich von vornherein negativer als vielleicht die Einstellung wäre, wenn man es etwas anders präsentieren würde. Dasselbe könne passieren, wenn zu positiv gefragt würde, sagt Angela Bearth. Es brauche einen Mittelweg und ein gewisses Mass an Informationen, damit die Befragten überhaupt bewerten könnten, was sie beantworten sollen.

Gentechnik versus Pflanzenschutzmittel

Jüngste Umfragen zeigen teils ein anderes Bild: Dass die Bevölkerung gegenüber nicht-transgenen Ansätzen der Gentechnologie weniger abgeneigt ist, wenn es zum Beispiel darum geht, die Ernte zu sichern und umweltschonend zu produzieren – gerade im Gegensatz zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. In einer ETH-Umfrage wurden Personen gebeten gentechnisch veränderte Kartoffeln, mit Fungizid oder Kupfer gespritzte Kartoffeln und genom-editierte Kartoffeln separat zu bewerten.


Feldversuch mit gentechnisch-veränderten Kartoffeln auf der Protected Site von Agroscope. Rechts von der Bildmitte die Sorte Atlantic mit zwei Resistenzgenen aus Wildkartoffeln, links dieselbe Sorte ohne Resistenzgene und mit starkem Befall von Krautfäule.


Gleichzeitig hätten die Befragten ein Mindestmass an Informationen erhalten: «Wir haben beispielsweise erklärt, dass man ein Fungizid gegen Kraut- und Knollenfäule spritzt und dieses nicht direkt auf der Kartoffel lande, sondern auf den Blättern. Zweitens haben wir das Gentech-Verfahren erläutert und erklärt, dass man beispielsweise ein Gen aus einer Wildkartoffel nimmt, dieses dann in eine kultivierte Kartoffel einsetzt, was sie damit resistent gegen Kraut- und Knollenfäule macht.» Damit könnten sie zwar nach wie vor nicht voraussetzen, dass die Leute nun komplett verstanden hätten, worum es gehe, aber immerhin hätten die Befragten ein Bild davon gehabt, von dem was genau gemacht werde – wenn auch vereinfacht.

Das seien Zeichen, die auch die Politik aufnehmen sollte, meint Roland Peter. «Wir stellen in vielen Kontakten mit dem breiten Publikum und mit der landwirtschaftlichen Praxis ein grosses Interesse an den neuen Entwicklungen und Möglichkeiten fest», ergänzt er. Es scheine vor allem bei den jüngeren Generationen weniger Polarisierung bezüglich der neuen Methoden zu geben und gerade dieser Sommer habe gezeigt, was passiere, wenn Kartoffeln nicht mehr vor Krautfäule und Reben nicht mehr vor Mehltau geschützt werden könnten.

Wissenschaftlicher Rückschritt

Auch wenn verschiedene Umfragen verschiedene Resultate zeigen – vorerst ändert sich in der Schweiz nichts. Bis 2025 bleibt jedwede Gentechnologie nur der Forschung vorbehalten und auch dort bleiben die Rahmenbedingungen sehr strikt. «Die angewandte Züchtungsforschung in der Schweiz wird weiterhin stark limitiert», bedauert Roland Peter. Keiner wolle Geld und Arbeit in aussichtslose Produkte investieren. Zudem werde bei der der Vorlage, über die das Parlament beschliesst, die geltende Praxis sogar noch verschärft. Neu wären auch Weiterentwicklungen von Züchtungstechnologien betroffen, die bisher vom Gentechnikgesetz ausgenommen waren.

Das sei schwer verständlich, meint Roland Peter weiter: «Zumal es seitens der Wissenschaft einen breiten Konsens gibt, dass gerade neue Technologien wie die Genom-Editierung – zum Beispiel CRISPR/Cas – nicht wie die alte, transgene Gentechnik reguliert werden dürfen.» Auch heute sind viele Forscherinnen und Forscher dagegen, dass man die klassische Gentechnologie legalisiert, den neueren Verfahren, die näher an der traditionellen Züchtung sind als die klassische Gentechnologie, aber unbedingt eine Chance geben sollte. «Erstens geht es ja nicht um eine generelle Legalisierung und zweitens stimmt es wohl nicht, dass viele Forschende für ein Anbaumoratorium bei der klassischen Gentechnologie sind», vermutet auch Angela Bearth.

Neue Verfahren hin oder her, nach wie vor gebe es erhebliche Wissenslücken im Bereich der Risikobeurteilung, moniert Paul Scherer von der SAG. Und eine umfassende und interessenunabhängige Abwägung von Risiken und Chancen könne nur im Rahmen des bestehenden Gentechnikgesetzes gewährleistet werden.

Der SBV hat ähnliche Bedenken, deshalb brauche es die erneute Verlängerung des Gentech-Moratoriums: «Wir erwarten, dass man die so entstehende Frist nutzt – einerseits um an Lösungen für effektive Probleme zu arbeiten und andererseits, um den Umgang mit den neuen Züchtungsmethoden wie der Genom-Editierung zu regeln», sagt Sandra Helfenstein. Der SBV unterstütze denn auch die Forschung und verschliesse sich einem Überdenken nicht, wenn es gelinge mit diesen neuen Verfahren beispielsweise gegen Krankheiten resistente Pflanzen zu züchten.

Die Zeit muss genutzt werden, um Prüf- und Bewilligungskriterien für Pflanzen zu erarbeiten, die mit neuen Züchtungsmethoden hergestellt wurden, sagt Roland Peter. Und er hofft, dass Bestimmungen erlassen werden, mit denen während des Moratoriums neue Sorten zugelassen und vermehrt werden dürften, die dann ab 2026 nutzbar wären. «Dafür sollten Bundesrat und Parlament neue Züchtungsverfahren beziehungsweise die Produkte daraus differenziert regeln und nicht alle in einen Topf werfen und einen schweren Deckel drauflegen.»

Gentechnologie muss Aufklärungsarbeit machen

Um im Bereich Gentechnologie in der Schweiz allenfalls eine Richtungsänderung herbeizuführen, werde es für die Zukunft aber wohl das wichtigste sein, die Unterschiede der neuen Methoden im Vergleich zur alten Gentechnik der Transgene aufzuzeigen und anhand von konkreten Beispielen zu erklären, reflektiert Roland Peter. Tatsächlich brauche es aber vor allem eine Debatte, ergänzt Angela Bearth vom Forum Genforschung.

Heute werde vor allem viel Altes wiederholt und es passiere wenig auf der Wissensbasis, stattdessen würden geladene Bilder mit Spritzen in Lebensmittel verwendet, die stark steuernd wirkten. In der Schweiz stelle sie ausserdem sehr oft eine, wie sie es nennt, Fünfer-und-Weggli-Mentalität fest: «Man will keine Pestizide und trotzdem ausreichend hochwertige und günstige Lebensmittel – da fehlt halt irgendwo das Bewusstsein für gewisse Problematiken, die man in der Landwirtschaft und im Interesse der Lebensmittelsicherheit angehen muss.» Um zu beurteilen, wie Schweizer Konsumenten und Konsumentinnen zur Gentechnologie stehen, brauche es darum auch dringend neue sozialwissenschaftliche Daten, die der Komplexität des Sachverhalts gerecht würden und einen Dialog, der jenseits der verhärteten Lager stattfinden könne. (LID)

Wissenswertes

Gen und Genom
Zellkerne enthalten Chromosomen, die aus DNA (Desoxyribonukleinsäure) bestehen. Gene sind einzelne Abschnitte auf einem DNA-Strang, die bestimmte Erbinformationen enthalten – die Erbinformationen für die Augenfarbe beim Menschen sind beispielsweise auf drei verschiedenen Genen, also auf drei verschiedenen spezifischen Abschnitten auf einem DNA-Strang gespeichert und aus diesen Informationen ergibt sich schliesslich die Augenfarbe. Die gesamten Erbinformationen der einzelnen Gene aller Chromosomen in einer Zelle zusammen werden als Erbgut oder Genom bezeichnet.

Trans- und cisgene Pflanzen: Bei beiden Verfahren werden zwar «fremde» Gene in einer Pflanze eingefügt. Bei einem transgenen Verfahren passiert das aber jenseits der Artgrenze (trans = jenseits). Das bedeutet einem Apfel werden beispielsweise Gene einer Tomate «eingepflanzt». Auch bei cisgenen Pflanzen wurde mit Hilfe gentechnischer Verfahren neue Gene eingeführt. Allerdings diesseits der Artgrenze (cis = diesseits). Das bedeutet, einem Apfel wurden Gene einer anderen Apfelsorte übertragen.

Cisgene Apfelbäume der ETH Zürich
Forschende der ETH Zürich haben bei Apfelbäumen der Sorte Gala ein Resistenzgen gegen Feuerbrand eingefügt, das aus einem Wildapfel stammt. Das Feuerbrand-resistente Gen könnte auch mit konventioneller Züchtung durch Kreuzen eingebracht werden. Allerdings würden die daraus hervorgehenden Pflanzen viele zusätzliche unerwünschte Merkmale des Wildapfels erben, beispielsweise sehr kleine, ungeniessbare Früchte. Diese unerwünschten Eigenschaften müssten dann durch vier bis fünf Rückkreuzungen wieder herausgezüchtet werden, was 20 bis 25 Jahre dauern und die Eigenschaften der Ausgangssorte so verändern würde, dass daraus eine neue Sorte entstünde.

Mit den gentechnischen Verfahren konnten die sogenannten cisgenen Apfelpflanzen im Gewächshaus am Agroscope-Standort in Wädenswil aber bereits nach wenigen Jahren geprüft werden und die Experimente dort haben eine hohe Feuerbrandresistenz gezeigt. Zwischen 2016 und 2020 wurden die cisgenen Apfelbäume in einem Feldversuch auf der Protected Site am Agroscope-Standort Reckenholz auf Nutzen und Risiken untersucht. (Text und Bilder: LID)
(gb)
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