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Erleichtern künstlich gesüsste Lebensmittel die Gewichtskontrolle? Bereits seit den 1980er Jahren besteht der Verdacht, es könnte sich umgekehrt verhalten.
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Am Anfang stand gemäss einem Bericht der NZZ eine Studie der Engländer Blundell und Hill, in der Versuchspersonen nach dem Konsum eines künstlich gesüssten Getränks deutlich mehr Hunger verspürten als solche, die Wasser getrunken hatten. Dieses «sweetener paradox», laut dem künstliche Süssstoffe den Appetit und damit auch die Nahrungsaufnahme steigern, liess sich in den Folgejahren aber nicht bestätigen.
Dann zeigte im 2008 eine Langzeituntersuchung verblüffende Korrelationen.
Überraschenderweise hatten Konsumenten von künstlich gesüssten Getränken im Mittel deutlich mehr Gewicht zugelegt als Personen, die keine solchen Getränke zu sich nahmen. Beim Genuss von mehr als 21 solcher Getränke pro Woche verdoppelte sich sogar das Risiko für Übergewicht und Fettleibigkeit. Seither fanden andere grosse Langzeitstudien heraus, dass der regelmässige Konsum solcher Getränke auch mit einem erhöhten Risiko für Diabetes oder Bluthochdruck einhergeht, die durch Übergewicht begünstigt werden.
Allerdings zeigen all diese Erhebungen zwar Korrelationen aber keine Ursache-Wirkungs-Beziehung. In den letzten Jahren versuchten daher einzelne Interventionsstudien, einen möglichen kausalen Zusammenhang zwischen dem Konsum künstlicher Süssstoffe und Veränderungen des Körpergewichts aufzudecken. Jeweils eine Testgruppe konsumierte über einen bestimmten Zeitraum künstlich gesüsste Getränke, während eine Kontrollgruppe auf solche verzichtete. Doch die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind widersprüchlich.
Es besteht die Vermutung, dass künstliche Süssstoffe das Belohnungssystem des Gehirns auf andere Weise aktivieren als natürliche. In beiden Fällen registriert das Gehirn über Rezeptoren der Zunge den süssen Geschmack und signalisiert dem Darm die baldige Ankunft kalorischer Nährstoffe. Treffen diese dort ein, lösen sie die Ausschüttung von Sättigungshormonen und Insulin in die Blutbahn aus.
Das Ausbleiben dieser Sättigungssignale an das Gehirn nach dem Genuss künstlicher Süssstoffe könnte den Appetit auf kalorienreiche Nahrung steigern.
Daher plädiert der Präventivmediziner David Fäh von der Universität Zürich für eine «Entsüssung» unserer Ernährung. Das beste Getränk sei nach wie vor Wasser. Ebenso der Diabetologe und Spezialist für klinische Ernährung Kaspar Berneis vom Unispital Zürich: «Softdrinks mit hohem Zucker- und Fruchtzuckergehalt sind für Gesunde genauso schädlich wie für Diabetiker».
Süssstoffe: Was sind sie und was ist ihr Nutzen?
Die durch Süssstoffe erreichte Kalorienreduktion hängt
stark von der Zusammensetzung des jeweiligen
Nahrungsmittels ab. Wenn Zucker die Hauptenergiequelle ist - wie dies besonders häufig bei Getränken der Fall ist -, kann der Zuckerersatz durch Süssstoffe die Energiedichte praktisch auf einen
vernachlässigbaren Wert drücken. Bei Nahrungsmitteln
mittlerer Energiedichte wie etwa Joghurt ist in der Regel
Zucker nur einer der kalorienhaltigen Inhaltsstoffe, und der
Effekt ist mässig. Weitere Kalorien stammen dort von Fett
und Proteinen. Die erzielte Kalorienreduktion variiert somit.
Bei fettreichen Nahrungsmitteln, wie etwa Schokolade,
bringt der Ersatz von Zucker durch Süssstoffe relativ wenig, da diese Produkte viel Fett enthalten und die Energie
hauptsächlich aus dem Fettanteil stammt.
Der Einsatz von Süssstoffen an sich führt häufig nicht direkt
zu einer raschen Gewichtsabnahme, kann jedoch indirekt die
langfristige Einhaltung einer kalorienreduzierten Ernährung
fördern, indem die Abwechslung und Schmackhaftigkeit der
Lebensmittel trotz reduzierter Energie erhalten bleibt.
Süssstoffe und Gewichtskontrolle
Im Hinblick auf eine Gewichtsabnahme oder Gewichtserhaltung ist die Energiebilanz entscheidend. Zur Erhaltung
des Gewichts muss dabei das Gleichgewicht zwischen
aufgenommenen Kalorien und verbrannten Kalorien eingehalten werden. Dies kann erreicht werden, indem man eine
vernünftige und ausgewogene Ernährung mit regelmässiger körperlicher Betätigung kombiniert. Um abzunehmen, müssen entsprechend entweder mit mehr Bewegung mehr Kalorien verbrannt, oder weniger Kalorien
aufgenommen werden; idealerweise werden beide
Massnahmen kombiniert.
Dass der Ersatz von Zucker durch Süssstoffe
mit einer Kalorienreduktion und somit mit einer
Gewichtsabnahme einhergehen muss, ist eine
naheliegende Annahme. Dies ist jedoch nur dann
zutreffend, wenn die „nicht-aufgenommenen"
Kalorien nicht zu einem späteren Zeitpunkt kompensatorisch in Form von anderen Energieträgern
trotzdem aufgenommen werden.
Wenn man sich
z. B. dafür entscheidet, ein Light-Getränk anstelle
eines zuckergesüssten zu trinken und so rund 100
kcal einspart, dann aber im Verlaufe des Tages mehr Hunger verspürt und 100-200 kcal zusätzlich aufnimmt, wäre der Effekt neutralisiert oder würde gar in einen Kalorienüberschuss umschlagen.
Warum gibt es immer wieder Spekulationen
und Bedenken im Hinblick auf die Sicherheit
von Süssstoffen? Dazu Prof. Ulrich Keller: In den vergangenen Jahrzehnten wurden aufgrund von
einzelnen Studien immer wieder Kontroversen über
die Sicherheit von Süssstoffen geführt. Dies ist wichtig
und richtig. Zusatzstoffe, die überall in unserer Nahrung
enthalten sind, müssen zuverlässig überwacht werden.
Letzten Herbst (2012) wurde wiederum eine Studie
publiziert, die die Frage nach einem möglichen Zusammenhang zwischen Aspartam und einer seltenen Art
von Blutkrebs aufwirft. Problematisch wird es dann,
wenn solche neue Studien ungefiltert aufgegriffen und
als „Wahrheit" propagiert werden, bevor fundierte
Abklärung stattgefunden hat, wie sie die Europäischen
Behörden im Falle von Aspartam aktuell vornehmen.
So entsteht eine bleibende Verunsicherung.
Aus heutiger
Sicht gibt es keine stichhaltigen Anhaltspunkte dafür,
dass Süssstoffe gesundheitlich bedenklich sind. Keine
der zahlreichen bisherigen kritischen Studien war
fundiert genug, dass bei der Prüfung ernsthafte Zweifel
an ihrer Sicherheit aufgekommen wären. Auch muss
bei diesen Diskussionen immer berücksichtigt werden,
dass die gesundheitlichen Risiken bei zu hohem Zuckerkonsum eindeutig erwiesen sind.
Wäre Stevia ein Ausweg - d. h. ein Süssstoff
ohne gesundheitliche Risiken? Prof. Ulrich Keller: Stevia ist ein aus der Pflanze Stevia rebaudiana („Süsskraut", auch „Honigkraut" - Bild) gewonnenes Stoffgemisch,
das als Süssstoff verwendet wird. Es besteht hauptsächlich aus Steviol-Glycosiden. Diese sind gut 200- bis 300-mal
süsser als eine entsprechende Lösung von Saccharose
(Haushaltszucker). Sie lassen bei grösseren Mengen
einen lang anhaltenden, bitteren Nachgeschmack zurück,
weshalb Stevia oft in Kombination mit Zucker oder
anderen, hier erwähnten Süssstoffen eingesetzt wird.
Die gesundheitlichen Risiken von Steviol-Glycosiden sind
viel weniger gut abgeklärt als diejenigen der anderen,
erwähnten Süssstoffe. Bisherige Untersuchungen ergaben
keine Hinweise für Nebenwirkungen wie z. B. vermehrte
Krebshäufigkeit. (Text: SGE. Broschüre „Süssstoffe: Was sind sie, und was ist ihr Nutzen?“)
Süssstoff-Wissen in Kürze
Süssstoffe sind chemische Verbindungen ausserhalb der
Gruppe der Kohlenhydrate, die eine wesentlich grössere
Süsskraft als Saccharose (Haushaltszucker) aufweisen,
jedoch im Verhältnis zu ihrer Süsskraft keinen oder nur
einen sehr geringen Nährwert besitzen. Süssstoffe sind
abzugrenzen von weiteren süssenden Zutaten, namentlich:
Zuckern (Glucose, Fructose, Saccharose) und Zuckeraustauschstoffen (Sorbit, Xylit).
Süssstoffe werden weltweit seit über 100 Jahren eingesetzt. Der erste breit verwendete Süssstoff war Saccharin,
und später sind weitere neue Süssstoffe dazugekommen. Alle Süssstoffe haben eine wesentlich höhere Süsskraft
als Zucker und werden heute in verschiedensten Nahrungsmittel- und Getränkeprodukten eingesetzt. So z. B. in
alkoholfreien Getränken, Kaugummis, Süsswaren, Eisdesserts, Joghurts, Dessertmischungen und Puddings.
Im
Gesundheitswesen werden Süssstoffe eingesetzt, um die
Einnahme von Medikamenten angenehmer zu machen. Ob
in Lebensmitteln oder Medikamenten, Süssstoffe müssen
auf dem Etikett der Verpackung klar deklariert werden. In der Europäischen Union (EU) sind die am häufigsten
eingesetzten Süssstoffe Acesulfam-K, Aspartam, Cyclamat,
Saccharin und Sucralose.
(gb)