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Report  07.10.2021
Fett und Cholesterin schaden nicht
Die Wissenschaft sieht keine Verbindung zwischen Fett oder Nahrungscholesterin und Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Übergewicht. Einzig bei den gesättigten Fettsäuren ist etwas Vorsicht geboten.


Solange die Menge stimmt, sind alle Nährstoffe sinnvoll.


Nahrungsfett sowie gesättigte Fettsäuren und Nahrungscholesterin sollen gemäss aktuellen Empfehlungen nur einen bescheidenen Teil der gesamten Nährstoffzufuhr ausmachen. Und da man gerne gesättigte Fettsäuren und Nahrungscholesterin mit tierischen Fetten gleichsetzt, werden diese Empfehlungen oft zur Aussage 'Tierische Fette sind schlecht' zusammengefasst.

Aktuelle nationale und internationale Richtwerte zur Fettzufuhr besagen, die Fettzufuhr soll möglichst bescheiden sein und der Anteil an der gesamten Energiezufuhr möge bei 30 % oder gar weniger liegen. Auch bezüglich eines Teils der Fette, der gesättigten Fettsäuren, sowie des Nahrungscholesterins herrscht Zurückhaltung bei den Empfehlungen. Hier lauten die aktuellen Referenzwerte höchstens 10 % Energieanteil für die gesättigten Fettsäuren und maximal 300 mg Cholesterin pro Tag. Und da man gerne gesättigte Fettsäuren und Nahrungscholesterin mit tierischen Fetten gleichgesetzt, werden diese Empfehlungen oft zur Aussage 'Tierische Fette sind schlecht' zusammengefasst.

Nahrungscholesterin beeinflusst Blut-Cholesterinspiegel kaum

Nahrungscholesterin galt eine zeitlang als das personifizierte Böse am tierischen Fett. Und dies, weil es Kaninchen und Meerschweinchen krank machte – nicht aber Ratten. Kaninchen und Meerschweinchen sind Pflanzenfresser. Für sie ist das Fressen von Cholesterin etwas abnormes, denn sie sind nicht dafür gebaut, Nahrungscholesterin zu verstoffwechseln. Hingegen sind Ratten wie Menschen Allesfresser. Nahrungscholesterin ist somit ein natürlicher Bestandteil ihrer Nahrung. Aber dies schien niemanden gross zu stören. Das Dogma von Nahrungscholesterin als Auslöser der Arterienverkalkung lässt sich aber heute schwerfällig umstossen.

Dabei spricht die wissenschaftliche Literatur (für einmal) eine klare Sprache: Nahrungscholesterin beeinflusst den Gehalt an Blutcholesterin, der mit der Arterienverkalkung in Verbindung gebracht wird, nachweislich nur marginal. Nahrungscholesterin beeinflusst zwar das Blutcholesterin, aber nur in einem solch minimalen Ausmass, dass eine Einschränkung der Zufuhr für alle Bevölkerungsgruppen wissenschaftlich nicht vertretbar ist.

Parallele aber nicht kausale Korrelation

Auch die gesättigten Fettsäuren werden in erster Linie mit einem erhöhten Risiko für arteriosklerotische Erkrankungen in Verbindung gebracht. Die Lage ist hier mit Sicherheit komplexer als beim Nahrungscholesterin. Dies hat viele Ursachen und zwei wesentliche davon sind, dass nicht alle gesättigten Fettsäuren in den gleichen Topf geworfen werden können, und dass der isolierte Einfluss einer einzelnen Fettsäure nicht experimentell getestet werden kann.

Gesättigte Fettsäuren mit einer Kettenlänge von 12 bis 16 C-Atomen werden generell mit einer Erhöhung des Risikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung gebracht. Der Grund hierfür ist aber indirekter Natur. Die C12er bis C16er Fettsäuren erhöhen im Blut das "böse" LDL-Cholesterin mehr als das "gute" HDL-Cholesterin, was seinerseits mit einer Risikoerhöhung assoziiert wird.

Eine direkte Kausalität zwischen den C12er bis C16er gesättigten Fettsäuren und dem Krankheitsrisiko wird somit einfach angenommen: In den meisten der 60 begutachteten Studien wurde schlichtweg kein Zusammenhang zwischen der Einnahme gesättigter Fettsäuren und Herz-Kreislauf-Erkrankungen festgestellt. Auch nach 1998 veröffentlichte Arbeiten zeigen das gleiche Bild. Es war absolut kein Zusammenhang zwischen den gesättigten Fettsäuren und dem Herz-Kreislaufrisiko vorhanden.

Trotzdem sollte man jetzt den gesättigten Fettsäuren keinen generellen Freipass ausstellen. Denn gemäss heutigem Wissenstand, der zwar nicht eindeutig, aber dennoch ausreichend für das Schwenken einer Warnflagge ist, beeinflussen die gesättigten Fettsäuren das Risiko einer anderen Krankheit auf eine ungünstige Weise. Die gesättigten Fettsäuren sind ein heisser Kandidat bei der Ursachenfindung zur Insulinresistenz.

Nahrungsfett gehört zu jeder Form menschlicher Ernährung, und keine ernst zu nehmende Fachperson kann dies bestreiten. Dennoch sind vielerorts Bestrebungen im Gange, den Fettverzehr zu reduzieren. Neben den oben genannten Gründen wird dann oft auf die Übergewichtsproblematik hingewiesen. Eine übermässige Fetteinlagerung muss ja mit der Fettzufuhr zusammenhängen. Die Fakten sehen aber auch hier anders aus, als viele glauben.

Ist Fett die Ursache von Übergewicht?

Alleine die Betrachtungen zwischen dem Fettverzehr und der Übergewichtsprävalenz in den USA lassen einen allfälligen direkten Zusammenhang zumindest in Frage stellen. Übergewicht entsteht aus physikalischer Sicht betrachtet durch eine höhere Zufuhr an Energie als verbraucht wird, denn seit spätestens 1842 ist bekannt, dass "…eine einmal vorhandene Kraft [=Energie] aber nicht zu Null werden kann, sondern nur in eine andere Form übergehen…".

Ein Zuviel an Energie über die Nahrung kann also nicht einfach verschwinden, sondern muss eingelagert werden. Für die Entstehung von Übergewicht und Fettleibigkeit ist somit zwingendermassen eine positive Energiebilanz verantwortlich. Und daraus folgt ebenso zwingend der Schluss, dass alle energieliefernden Nähr- oder Genussstoffe prinzipiell an der Entstehung von Übergewicht mitbeteiligt sein können.

Deshalb ist die Aussage, irgendeiner dieser Stoffe würde per se Übergewicht verursachen, also losgelöst von den anderen Stoffen oder von der Energiebilanz betrachtet, nicht haltbar. Natürlich kann die Energiebilanz auch auf der Verbrauchsseite beeinflusst werden. Und die Vermutung liegt sehr nahe, dass in den USA ein zu geringer Energieverbrauch über mangelnde physische Aktivität sehr massgebend die hohe Übergewichtsprävalenz beeinflusst.

Abgesehen von der reinen energetischen Überlegung spielen natürlich noch weitere Aspekte bei der Entstehung von Übergewicht eine Rolle. Wenn wir die psychologischen Ursachen ausser Acht lassen, so dürfte stoffwechselmässig betrachtet einem anderen Nährstoff eine zentrale Rolle zukommen. Soll keine Fetteinlagerung (mehr) erfolgen, muss die körpereigene Oxidation der Fettsäuren mindestens so hoch sein wie die Zufuhr an Nahrungsfetten (die Neubildung von Fetten aus Kohlenhydrate oder gar Protein spielt meistens nur eine untergeordnete Rolle).

Probleme bei Insulin im Dauerhoch

Die Oxidation der Fettsäuren im Stoffwechsel ist an sich der favorisierte Zustand. Sobald aber ein Anstieg des Hormons Insulin erfolgt, wird die Oxidation der Fettsäuren unterdrückt. Anstelle der Fettsäuren werden bevorzugt Kohlenhydrate oxidiert. Und da, egal welche Ernährung befolgt wird, immer auch Fett enthalten ist, steigen die Körperreserven bei unterdrückter Oxidation der Fettsäuren langsam aber stetig an. Dieser Anstieg ist umso höher und konstanter, je länger das Insulin erhöht ist, was wiederum in erster Linie durch die Menge an gegessenen Kohlenhydraten gesteuert wird.

Bedenkt man nun, dass gemäss heutigen Empfehlungen der Referenzwert für die Kohlenhydratzufuhr bei 50 % der gesamten Energiezufuhr oder mehr ist (für die deutschsprachigen Länder sind es sogar etwas mehr als 60 %), und dass der Anteil an Menschen mit ausreichender körperlicher Aktivität (welche die Oxidation der Fettsäuren steigern würde) sehr bescheiden ist, so gerät man durchaus in Versuchung, bei den Nährstoffen eher die Kohlenhydrate mit dem Übergewicht in Verbindung zu bringen. Zudem sollte auch endlich generell anerkannt werden, dass Übergewicht für sich alleine betrachtet keine Krankheit ist.

Diskussionen, sei es nun um gute oder schlechte Fette oder generell um gute oder schlechte Nahrungsmittel, müssten endlich und für immer abgeschlossen werden. Denn es gibt keine guten oder schlechten Nährstoffe oder Nahrungsmittel. Manche kennen sicherlich den Schweizer Alchemisten und Arzt Paracelsus aufgrund seiner oft zitierten Aussage «Alle Ding sind Gifft / vnd nichts ohn' Gifft / allein die Dosis macht / das ein Ding kein Gifft ist». Die Übertragung des Dosis-Wirkungs-Prinzips auf Nährstoffe oder Lebensmittel ist sicherlich gerechtfertigt und wurde selbst von Paracelsus erkannt.



Text: Paolo C. Colombani, Departement für Agrar- und Lebensmittelwissenschaften ETH

(gb)
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