Kalbskopf an Vinaigrette – eine Delikatesse für Liebhaber
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Die meisten Hausfrauen und auch viele Gastroköche haben mit Innereien keine Erfahrung, so dass sie sie links liegen lassen, auch wenn sie grundsätzlich am Nose-to-Tail-Konzept Interesse haben (Verwertung vom Schnörrli bis zum Schwänzli). Man kann sie oft nicht pfannenfertig kaufen, und die Zubereitung ist teilweise aufwändig. Die kulinarische Qualität sowie die Preise variieren von Sorte zu Sorte, nicht alle Sorten sind durchwegs beliebt und manchmal kaum bekannt. Die Autoren des 2018 erschienenen Buches «Nose to Tail» (in der BEEF-Reihe beim deutschen Tre Torri-Verlag) kommentierten die Krux der Innereien-Verarbeitung aber auch die Chancen detailliert:
Die meisten Innereien schmecken eigenständig: eine Niere völlig anders als ein Herz, die Leber hat kaum Gemeinsamkeiten mit Knochenmark oder Bries. Auch wenn uns diese intensiveren Aromen vielleicht plastischer als ein zartes Filet daran erinnern, dass wir gerade einen Teil eines einstigen Lebewesens verspeisen, bleibt unsere über die letzten Jahre immer stärker gewachsene Abkehr von Innereien letztlich unlogisch. Zumal es ja gerade diese geschmacklichen Unterschiede sind, die in vielen Länderküchen Osteuropas, Lateinamerikas oder Asiens eine schier unendliche Fülle an aromatischen Erlebnissen bescheren. Dort kann nahezu jedes Teil eines Schlachttieres eine Spezialität sein, oft gar eine Delikatesse.
In Nordeuropa und Teilen der USA war das in früheren Zeiten nicht anders. Erst die Industrialisierung der Fleischerzeugung brachte, in Verbindung mit modernen Methoden zur Verlängerung der Fleischhaltbarkeit, eine zunehmende Entfremdung von den Innereien, die man im Gegensatz zu dem Schnitzel eben nicht ein paar Tage im Kühlschrank aufheben kann. Sie müssen nach der Schlachtung so rasch wie möglich verarbeitet werden. Deshalb fand man in Landgasthöfen, in denen meist donnerstags selbst geschlachtet wurde, schon am Sonntag keine sauren Nieren oder geschmortes Kalbsherz mehr auf der Speisekarte.
Beispiel für eine Delikatessen-Innerei: Gebratene Kalbsmilken
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Zu dem Zwang, eine Zutat derart frisch verarbeiten zu müssen, kommt bei den Innereien erschwerend hinzu, dass sie oft nicht komplett küchenfertig verkauft werden können und bei der heimischen Vorbereitung teilweise etwas Erfahrung und handwerkliches Geschick und das richtige Werkzeug verlangen. Wenn man Minutensteaks direkt aus der Plastikverpackung in die Pfanne hauen kann, warum sollte man stattdessen umständlich von der Lunge die Haut abziehen? Oder das schlachtfrische Kalbshirn erst wässern, dann vorsichtig Äderchen und Häutchen entfernen und in Brühe garkochen? Oder mehrere Stunden Kochzeit bei Rindszunge abwarten, um sie dann noch enthäuten zu müssen?
Die Folge: Selbst viele angehende Metzger und Köche sehen angesichts der immer schwerer werdenden Verkäuflichkeit dieser Schlachttierstücke keine Notwendigkeit mehr, das Handling der vermeintlich unedlen Teile zu erlernen. Zumal gerade die Innereien für die moderne Gastronomie mit ihrer engen Arbeitstaktung und ihren Abläufen auf Abruf ein echtes Problem darstellen. Wo mit Convenience,Tiefkühlung und im "Hold-o-Mat" auf Serviertemperatur gehaltenen Fleischteilen gearbeitet wird, sind viele Innereien leicht verderbliche Ware, die man am Abend nicht einfach in den Froster packen kann.
Gebratene Pouletherzen an Zwiebeln – preiswert aber schmackhaft
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Die ständige Nachschub-Verfügbarkeit der Innereien ist begrenzt, und sie erfordern in der Vorbereitung handwerkliches Geschick und kostbare Zeit. Ein Schnitzel dagegen ist in zehn Minuten paniert und ausgebacken. Einzig der vergleichsweise sehr niedrige Einkaufspreis spricht für die inneren Stücke - traditionell bilden denn auch Kutteln das preisliche Schlusslicht.
Vorbildliche Restaurants
Auch der pensionierte Nidwaldner Spitzenkoch und Gastrobuchautor Herbert Huber bedauert das heutige Desinteresse an Innereien, hat aber einige Restaurants ausfindig gemacht, die sie vorbildlich zubereiten und auf die Speisekarte setzen. In der Limmattalerzeitung schrieb er kürzlich: Dass Innereien bei
den meisten in Vergessenheit
geraten sind, ist eine reine
Wohlstandserscheinung. Man
leistet sich heute Filet, Entrecôte und Steak, weil das Zubereiten dieser teuren Edelstücke
schneller geht und man den
Gästen gerne etwas «Kostbares» auftischt.
Vom Tier kann man (fast) alles essen. Nose-to-Tail- Gerichte brauchen zwar
schon etwas mehr Zeit, für den
Einkauf, die Vorbereitung, vor
allem aber braucht es die Liebe
zum Kochen und zum Speziellen!
Klassisch aber heute selten auf der Speisekarte: Kutteln an Weissweinsauce
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Und diese scheint wiederzuerwachen: Früher pilgerte man
für «spanische Nierli» oder
«Alpeneier» in eine darauf
spezialisierte Beiz. Und was
entdecke ich kürzlich auf dem
Tagesangebot einer Bergbeiz im
Tiroler Lechtal? Beuscherl
(Lunge) mit Kartoffelknödeln
(Gnocchis) und Bergthymian!
Nun, es gibt auch in der Schweiz
Beizen, die «Grick» servieren
(Lunge und Herz), so etwa die
Familie Eichenberger im «Bären» in Birrwil AG.
Das Luzerner «Galliker» ist seit Jahren
berühmt für seine Kutteln an
Weissweinsauce und den
Kalbskopf mit Vinaigrette. Oder
die legendären Kalbsleberli kurz
in Butter sautiert. Leberli kann
man aber auch in einem hausgemachten Madeira-Sösseli
servieren. Auch das «Helvetia»
in Luzern verschreibt sich dem
«Nose to Tail»-Trend.
Übrigens: Kalbsmilken-Pastetli oder
Milkentranchen, leicht in Butter
gebraten oder als Piccata im Ei
ausgebacken, Kalbsbries oder
Ris de Veau sind heute wie
damals in gehobenen Restaurants eine Delikatesse. Ebenso
die vor dem Gast flambierten
Nierlitranchen. (GB)
(gb)