Griechisches Mussaka: Lamm-Hack mit Auberginen. Schweizer lernen Ethnofood oft in den betreffenden Feriendestinationen kennen und sind dann auch zuhause daran interessiert.
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Als Sammelbegriff für die speziell gewürzten und mit besonderen Zutaten angereicherten ländertypischen Speisen setzt sich die Bezeichnung Ethno Food durch. "Darunter ist eine exotische, verbreitete und nicht verinnerlichte Küche zu verstehen", sagt die junge Lebensmittelingenieurin Flurina Riedi. Sie hat an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) in Zollikofen eine Bachelorarbeit über die neuen multikulturellen Essgewohnheiten geschrieben. Riedi zählt dazu die orientalische, mexikanische, chinesische, japanische, thailändische, vietnamesische, indische, griechische, türkische und die südosteuropäische Küche.
Dem Schweizer Geschmack angepasst
Literaturrecherchen und Interviews mit Experten zeigten, dass es sich in der Schweiz unter dem Begriff dieser zehn ländertypischen Küchen stets um "modified ethnic food" handelt. Damit ist gemeint, dass die fremdländischen Gerichte und Produkte dem Geschmack der Schweizer Bevölkerung angepasst werden. Mit den authentischen Originalprodukten werden hingegen Menschen aus dem jeweiligen Ursprungsland angesprochen. Weiter hat sich gezeigt, dass die griechische, indische, mexikanische, chinesische sowie die thailändische Küche zu den bekanntesten Ethno Food-Küchen gehören.
Speckfreie Bratwurst, stark gewürzt, roh oder gebrüht verkauft: Merguez, hier mit Couscous. Die Originalrezepte werden von Schweizer Herstellern meistens «helvetisiert», vor allem im Schärfegrad.
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Die Schweizer Küche hat die griechische gar soweit adaptiert, dass sie nicht mehr wirklich in die Kategorie Ethno Food gezählt werden kann. Riedi sagt, dass die Sympathie zum jeweiligen Land, die durch Reisen und Ferienaufenthalte entstünden, Einfluss auf die Integration und somit auf die Bekanntheit einer fremdländischen Küche hätten. Eher schwer abzusetzen sind hingegen Produkte aus Regionen, die touristisch wenig bekannt sind, sagt Reto Gmür von der E.J. Gmür AG, einem führenden Handelsunternehmen für Ethno Food aus Asien, der Karibik und Mexiko. Er hält Ethno Food in der Schweiz für einen Wachstumsmarkt, weil die Schweizer offen für neues Essen sind und gerne reisen.
Neben der einheimischen Bevölkerung öffnen aber auch die Migranten dem Ethno Food die Türe, indem sie sich darum bemühen, dass auch ihre gewohnte heimische Küche ins schweizerische Lebensmittelangebot Eingang findet. "Neue Migrantengruppen sorgten auch für neuen Ethno Food", meint Lebensmittelingenieurin Riedi. Und Ethno Food durchlaufe stets einen Integrationszyklus. Was heute in die Kategorie Ethno Food gehöre, könne in ein paar Jahren bereits in die hiesige Küche integriert sein.
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Im China-Restaurant: Asiatisches Essen hat sich hierzulande längst durchgesetzt.
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Der Ethno-Food-Markt ist ein Wachstumsmarkt. In einer Studie der internationalen Organisation EuroFIR, die England, Frankreich, Deutschland, Schweden, Spanien, Italien, Belgien und Irland abdeckt, wurde der Ethno-Food-Markt im Jahr 2003 in diesen Ländern auf drei Milliarden Euro geschätzt. Drei Jahre später, 2006, stieg der Markt bereits auf über vier Milliarden Euro an. Vergleichszahlen gibt es für die Schweiz noch keine. Aber die Marktentwicklung dürfte ähnlich sein, zumal Teile der Lebensmittelbranche schon seit Jahren in diesem Segment sehr aktiv sind.
Auf dem Radar von Coop und Migros
Coop setzt bei Ethno Food auf Sortimentsvielfalt. Sie sei in den letzten Jahren laufend ausgebaut worden, sagt Mediensprecher Ramon Gander. "Dazu gehört auch der gezielte Auf- und Ausbau des Angebots für ausländische Kundinnen und Kunden. Im Zentrum stehen dabei Spezialitäten aus den Ländern Deutschland, England, Portugal, Südosteuropa und Türkei." Coop setzt dabei auf beliebte Markenartikel wie Önçü Paprikamark (Türkei), Compal Kichererbsen (Portugal), Podravka Ajvar (Südosteuropa) oder Mrs. Ball Original Chutney (England).
Zudem ergänzt Coop das Standardsortiment an den Festtagen durch zusätzliche Spezialitäten. "Andererseits sehen wir aber, dass vermehrt auch Schweizerinnen und Schweizer Freude an diesen Produkten haben", sagt Gander. Das Sortiment an thailändischen, chinesischen oder mexikanischen Lebensmitteln richtet sich bei Coop in erster Linie an einheimische Kundinnen und Kunden.
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Vieles wird kaum mehr als Ethno Food wahrgenommen wie etwa Tortilla Chips mit Guacamole, eine mexikanische Spezialität
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"Seit Jahrzehnten sind italienische Produkte beliebt, wie beispielsweise Agnesi-Teigwaren oder Monini-Olivenöl. Wichtige Herkünfte sind ausserdem: Spanien, der Balkan sowie Thailand, China, Indien, Japan, die Türkei, Nordafrika und der Nahe Osten sowie Nord- und Südamerika", sagt Migros-Mediensprecherin Martina Bosshard. "Bei den Lebensmitteln für die ethnischen Einwanderungsgruppen handelt es sich hauptsächlich um spezielle Rohwaren, die es sonst in der Schweiz so nicht gibt", sagt Bosshard. "Dazu gehören Mehle, Reis, Frucht-, Gemüse-, Fleisch- oder Fischkonserven, Brote, Öle, Saucen und Gewürze."
Es gebe auch Ethno-Lebensmittel, die eher für die interessierte Schweizer Bevölkerung mit einheitlicher Marke und mit Rezepten aufbereitet würden, aber welche die Einwanderer ebenfalls als authentische Produkte aus der Heimat schätzten, sagt die Mediensprecherin weiter. Dies seien dann eher Kochhilfen wie Pasten, Fertigsaucen, Food-Kits mit diversen Bestandteilen und Fertiggerichte.
Auch an Volksfesten sind Ethnofoodstände beliebt. In Zürich gibt es sogar im Sommer ein Fest, wo nur Ethnofood verkauft wird: Caliente. Bild: Brasilianerin koch ihr Nationalgericht Feijoada, einen Bohnen-Fleisch-Wurst-Eintopf.
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"Die Lebensmittel für die Einwanderer werden wo immer möglich direkt aus dem Ursprungsland mit der entsprechend authentischen, dort bekannten Marke bezogen", so Bosshard. "Die Produkte für ethnisch interessierte Schweizer kommen nicht zwingend aus dem Ursprungsland, es gibt in diesem Bereich viele spezialisierte Firmen in Europa, welche die authentischen Rezepturen nach unseren Qualitätsstandards herstellen und sich aufgrund der Nähe, der Zuverlässigkeit und des Einhaltens der nötigen Standards besser als Bezugsquelle eignen."
Die Migros lässt Ethno Food auch in der Schweiz herstellen: Exotische Fertiggerichte von Anna’s Best Thai, India nach authentischen Rezepten (jedoch weniger scharf) kommen aus der Eigenindustrie Bina in Bischofszell. Auch die Frühlingsrollen von Anna’s Best werden in der Schweiz produziert.
Indischer Käse aus Schweizer Milch
Für Züger Frischkäse in Oberbüren SG ist die Herstellung von Ethno Food seit Jahren ein wichtiges Thema. Marketingleiterin Claudia Kuratli sagt: "Im Sortiment haben wir Balkan-Feta, die Rohmilch Ayran und Kashkaval-Käse. Ebenso ist Züger mit dem indischen Paneer auf dem Markt." Balkan-Feta, ein Weichkäse in Dosen (Ömür) aus Kuh- oder Schafmilch, wird importiert und geht vor allem in die Gastronomie, an Abholmärkte und an Coop.
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Eine Inderin hat für Züger den indischen Frischkäse Paneer entwickelt.
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Gazi-Ayran, ein salzhaltiges Milchgetränk, wird ebenfalls eingeführt und geht über die Gastronomie und Abholmärkte hauptsächlich an Kebab-Läden. Kashkaval-Käse hingegen wird aus Schweizer Kuhmilch bei Züger hergestellt und in der Schweiz sowie der EU vertrieben. Indian Paneer, ein Frischkäse, wird ebenfalls aus Schweizer Milch hergestellt und in der Schweiz und Deutschland vertrieben.
Inspirationen aus anderen Esskulturen
Der grösste Schweizer Milchverarbeiter Emmi stellt keine Ethno Food-Produkte im Sinne von traditionellen Rezepturen mit speziellen ethnischen Minderheiten als Hauptzielgruppe her. "Durchaus interessant sind aber für Emmi Ernährungstrends aus anderen Esskulturen", sagt Mediensprecherin Sibylle Umiker. "Diese dienen Emmi dann als Inspiration für auf den Schweizer Markt zugeschnittene Milchprodukte. So gibt es einige Produkte, die auf klassischen Nahrungsmitteln anderer Kulturen basieren und von Emmi in eine Schweizer Version übersetzt werden. Beispiele sind Emmi Chai Latte und Bio Lassi, hergestellt von der Emmi-Tochter Molkerei Biedermann."
Ein Boomprodukt, sogar in den Supermärkten, sind die japanischen Sushi
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Die Molkerei Lanz in Obergerlafingen hingegen produziert türkischen und griechischen Ethno Food. Die Inspiration kam von aussen. Andreas Lanz sagt: "Ein türkischer Kunde fragte uns, ob wir einen
Joghurt für eine türkische Ladenkette in der Schweiz herstellen könnten. Wir haben es gemacht und waren so erfolgreich damit, dass wir das Produkt fest in unser Sortiment aufgenommen haben und auch noch anfingen, einen griechischen Jogurt und Tzatziki herzustellen." Um erfolgreich zu sein im Ethno Food-Geschäft brauche es vor allem gute Absatzkanäle, sonst riskiere man, auf dem Produkt sitzen zu bleiben.
Türkische Spezialitäten aus Schweizer Fleisch
Die Metzgerei Angst in Zürich produziert Kebab und Cevapcici aus Schweizer Fleisch. Eine weitere Balkanspezialität des Hauses ist geräucherte und getrocknete Schweinsbrust. Kebab wird direkt an türkische Stände geliefert. Aber nicht nur der Süden ist im Fokus des Unternehmens, sondern auch der Norden. Die Zürcher Metzgerei versteht sich auch auf die Herstellung der schwedischen Spezialität Köttbullar, das sind Hackfleischklösschen. Die meisten Spezialitäten kommen aus der "Arme-Leute-Küche" und sind daher im unteren Preissegment angesiedelt. Ausser in den Produkten mit Pouletfleisch stammen die meisten Rohstoffe aus der Schweiz.
Kebab-Stände liefern den Burgerketten ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Auch McDonalds & Co waren früher einmal Ethnofood.
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Royal Döner in Winterthur ist das grösste Dönerproduktionsunternehmen in der Schweiz. "Die Herstellung der Döner findet ausschliesslich in der Schweiz statt", sagt Mehmet Özsoy, Leiter QM & Arbeitssicherheit. Das Kalbs- und Rindfleisch für Döner stammt aus der Schweiz."Neben Hackfleisch-, Plätzli- und Pouletdöner werden bei uns auch Kebab- und Joghurtsaucen oder marinierte Lamm- und Pouletscheiben hergestellt", sagt Özsoy. Royal Döner beliefert Gastronomiebetriebe, Grossabnehmer und -verteiler, den Detailhandel, Imbissstände und Private. Das Unternehmen beschäftigt rund 130 Personen und hat in der Schweiz einen Marktanteil von etwa 65 Prozent.
Ethno Food muss nicht Ethno Food bleiben
Eines zeigte sich in der Schweiz immer wieder: Ethno Food ist ein wandelbarer Begriff. Das zeigt am eindrücklichsten die Kartoffel, die im 16. Jahrhundert als exotisches Produkt aus Südamerika nach Europa und in die Schweiz kam. Der Erdapfel ist heute nicht nur eines der bedeutendsten Grundnahrungsmittel, sondern auch die Basis der Rösti, dem wohl urigsten Schweizer Nationalgericht, dem sogar die Grenzziehung zwischen den Landesteilen und seinen Kulturen anvertraut wird. (Text: LID)
(gb)