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Report  14.10.2016
Salone del Gusto neu als Open-Air-Event
Am 26.9. ist in Turin der Terra Madre Salone del Gusto zu Ende gegangen. Der von Slow Food, dem Piemont und der Stadt Turin organisierte Event bot Überblicke über die italienische sowie exotische Esskulturen.

Italienische Presidio-Produkte auf der Piazza San Carlo in Turin


Unter den Foodmessen bietet Terra Madre Salone del Gusto mit 130 Ländern die internationalste Ausstellerbeteiligung. Zum Vergleich: die besuchermässig doppelt so grosse IGW in Berlin bietet Aussteller aus 100 Ländern. Paolo Di Croce, Generalsekretär von Slow Food International nennt weitere Zahlen: 7000 Delegierte aus 143 Ländern kamen nach Turin sowie 300 Slow Food Presidi und 1000 Lebensmittelgemeinschaften des Terra Madre Netzwerks aus fünf Kontinenten.

«Terra Madre Salone del Gusto», wie der Event neu heisst, war dieses Jahr zum ersten Mal eine Freiluftveranstaltung und fand nicht mehr in den Lingotto-Messehallen statt sondern im Stadtzentrum von Turin an den schönsten Plätzen, Alleen und in Pärken – mit 1200 Ausstellern. Über die Besucherzahl kann man mangels Zugangskontrolle nur spekulieren. Vor zwei Jahren in den Messehallen waren es 220000 Besucher aus 60 Ländern. Der Hauptteil der Ausstellung bestand im Handwerksproduktemarkt und konzentrierte sich nach Regionen geordnet im weitläufigen Valentinopark.

Nur Handwerksprodukte

Industrieprodukte waren nicht vertreten, sie widersprechen dem Traditionalitätskonzept von Slow Food und dem Motto «gut, sauber und fair». Süsswaren oder Softdrinks musste man daher lange suchen, ebenso Fertiggerichte, die heute meistens industriell hergestellt werden. Bei Ricola machte man offenbar eine Ausnahme. Käse, Metzgereiprodukte und schwach verarbeitete Agrarprodukte herrschten vor. Der weitaus grösste Teil der Aussteller stammten aus Italien und war zentral platziert. Am Afrika-Gemeinschaftsstand gab es oft nur ein einzelnes Produkt pro Land.



AOP-Käse am Schweizer Gemeinschaftstand in der hintersten Ecke des Marktes, aber der lange Marsch bis dorthin lohnte sich


Alle andern Länder befanden sich im hinteren Teil des Valentinoparks. Am äussersten Ende des Parcours waren die Schweiz und England, wohl nicht aus Zufall. Sogar China lag näher obwohl nicht durchgehend ein Vorbild für das Slowfoodmotto. Auch die Schweiz brillierte mit Käse und Metzgereiprodukten. Nebst den bekannten Export-AOP-Käsesorten hatte die Puschlaver Metzgerei Scalino einen Einzel-Auftritt und Presidioprodukte im Angebot.

Das Rahmenprogramm bestand aus 11 grossen Konferenzen, 40 Terra-Madre-Foren, 98 Sensorik-Workshops und 26 Kochshows. Die 150 italienischen Presidi durften sich an den historischen Plätzen im Stadtzentrum präsentieren. Dort gab es auch eine Glacéstrasse, eine Önothek mit über 900 Weinen, eine Küche der Slow Food Chef Alliance sowie eine Piazza für Food Trucks. System-Fastfood blieb draussen – Slow Food fürchtet sich vor McDonald´s & Co wie der Teufel vor dem Weihwasser.

Tradition, Handwerk, Nachhaltigkeit, Fairtrade und Biodiversität waren ein Muss an diesem Event. Warum er nun für Zuschauer kostenlos und im Stadtzentrum stattfand, erklärte Carlo Petrini, Präsident und Gründer von Slow Food: «Wir können der Übermacht der multinationalen Konzerne die Macht der sozialen Bindungen, Entscheidungsfreiheit und Verteidigung der gemeinsamen Güter entgegensetzen. Wir wollen so viele Besucher wie möglich mobilisieren, um ihnen zu erzählen, was wir machen und sie einzubeziehen».



Ziegentrockenfleisch aus Schenkel oder Schultern, typisch für Graubünden und Veltlin. man kann es schneiden durch Anlehnen an die Schulter, so dass es aussieht wie wenn man Geige spielt. Von Slow Food durch ein Presidio gefördert.


57 neue Presidi aus 18 verschiedenen Länder waren ausgestellt. Bei den Presidi-Ausstellern dominierten Produkte aus alten Sorten und Rassen, vergleichbar mit unseren ProSpecieRara-Produkten. So etwa die Haselnuss Tonda Gentile IGP aus dem Piemont und die Haselnuss Giffoni IGP aus Kampanien. Oder die Besucher konnten Glacé aus alten Zitronensorten degustieren. Produkte der Slow Food Presidi waren zB auch eine mexikanische Schokolade aus der Chontalpa, die Pflaume Ramassin aus dem Valle Bronda, der Käse Robiola di Roccaverano oder das Maismehl Farina bóna aus dem Tessin. Aber es gab auch den Fokus auf die traditionelle Verarbeitung wie etwa die Herstellung eines Sardellenextrakts oder einer Konserve aus Olivenstücken.

Slow Meat – «weniger und besser»

Slow Food setzt sich zunehmend für nachhaltige Fleischproduktion und artgerechte Tierhaltung ein, besonders als Reaktion auf die weltweit immer intensiver betriebene Tierhaltung. Obwohl viele Aussteller Metzgereiprodukte anboten, warnt Slow Food, dass der Fleischkonsum in den bei uns gewohnten Mengen beizubehalten nicht nachhaltig sei. Dazu Serena Milano, Generalsekretärin der Stiftung Slow Food für Biodiversität: “Überfüllte Massenzuchtbetriebe, unnatürliche Lebensbedingungen, Stress und Qual, Tierfutter von schlechter Qualität, Monokulturen, Abholzung und ein enormer Wasserverbrauch sind der Preis der Tierzucht-Industrialisierung. All dies hat schwerwiegende Folgen für die Umwelt, die Gesundheit der Menschen, das Wohlergehen der Tiere und die soziale Gerechtigkeit. Durch Wahl des Besseren kann dies verändert werden.”


Spanferkel-Rollbraten vom schwarzen Nebrodi-Schwein in Sizilien, eine frei lebende Rasse und eine Kreuzung aus Wild- mit Hausschwein.


Der Slogan von Slow Meat - weniger Fleisch von besserer Qualität - sei eine dringende Notwendigkeit, nicht nur für die Gesundheit der Menschen sondern auch für den Schutz der Rohstoffe für die Fleischproduktion. Laut Slow Food braucht es eine Bildungskampagne, die sich an Konsumenten richtet und diese ermutigt, Fleisch nicht zu einem Spottpreis zu kaufen, da dieser ein Indikator für niedere Qualität ist. Dahinter verbergen sich Züchter, die kein Interesse am Tierwohl haben, ihre Tiere mit schlechtem Futter versorgen und die Umwelt belasten.

Eine gute Alternative zu Fleisch sind gemäss Slow Food Hülsenfrüchte: Terra Madre Salone del Gusto widmete dem Netzwerk Slow Beans einen eigenen Stand. Es gab 40 Bohnen-Aussteller und weltweit rund 188 gefährdete Arten, die in der Arche des Geschmacks von Slow Food gelistet sind. Auch die Ethik der Produktionsweise ist ein Kriterium: Die Bewegung lehnt sowohl die Geflügel-Stopfmethode ab wie auch die Massenhaltung bzw die industrielle Verarbeitung.



Die Riesenbohne von Vairano wird mit einem Presidio vor dem Verschwinden geschützt



Slow Cheese – Rohmilch ist ein Muss

Auch beim Käse führt Slow Food einen Kampf – gegen die Verwendung von pasteurierter Milch. Sogar am Stand von Irland, wo Pasteurisierung vorherrscht, waren nur Rohmilchkäse zu haben. Im 2001 startete Slow Food die Kampagne «Slow Cheese», um die Tradition der Rohmilchkäse zu retten. Der Verein sammelte 20000 Unterschriften, um die Rechte von Rohmilchkäseproduzenten zu festigen, da diese Käsesorten in Ländern mit übereifrigen Hygienebestimmungen unterdrückt werden und bedroht sind. Die Kampagne betont die besonderen geschmacklichen Qualitäten von Rohmilchkäse sowie dessen kulturellen Wert.

Kürzlich lancierte Slow Food eine Petition, um eine alte englische Käsesorte zu retten, den Rohmilch-Stilton. Nur noch ein einziger Käser stellt ihn her: Joe Schneider. Er verwendet lediglich Milch von Kühen seiner eigenen Herde. Schneider’s Rohmilch-Stilton erhält jedoch nicht die geschützte Ursprungsbezeichnung GUB und darf nicht Stilton genannt werden, da laut dem GUB-Standard der Stilton Cheese Makers Association nur pasteurisierte Milch verwendet werden darf. Aus diesem Grund wird Joe’s Rohmilch-Stilton als Stichelton vermarktet.


Er ist rar aber es gibt ihn, den irischen Rohmilchkäse


Slow Food schuf ein Presidio für Rohmilch-Stilton und unterstützt Schneider’s Anfrage ans Käsereien-Konsortium und an die britischen Behörden zur Änderung des Standards, damit Käsereien, die Rohmilch verwenden, sich GUB-zertifizieren lassen können. Grossbritannien ist eines der Länder, das am schärfsten auf pasteurisierte Milch in den GUB-Standards beharren, wogegen die Schweiz, Frankreich und Italien das Gegenteil tun. Slow Food setzt sich seit Jahren für Rohmilchkäse ein und gründete mehr als 80 Presidi, um traditionelle Rohmilchkäse zu fördern. Oft gibt es ein Doppelbranding aus Presidi und GUB, so etwa beim Emmentaler. (GB)

Was Slow Food ist und will

Slow Food ist eine internationale Organisation, die sich dafür einsetzt, dass alle Menschen gute Lebensmittel kennen und schätzen lernen: gut für alle, die sich davon ernähren, die sie anbauen und für die Umwelt. Slow Food besitzt über eine Million Anhänger, Köche, Fachleute, Jugendliche, Erzeuger, Fischer und Akademiker in 160 Ländern. 100´000 Mitglieder sind in 1500 lokalen Gruppen organisiert, die durch ihre Mitgliedschaft zur Finanzierung des Vereins beitragen und an den zahlreichen Events in den einzelnen Regionen teilnehmen. Zu den Mitgliedern kommen die 2400 Lebensmittelgemeinschaften von Terra Madre, die eine nachhaltige Agrar- und Lebensmittelproduktion in kleinem Massstab vertreten.

Slow Food will genussvolle, regionale und saisonale Produkte und ist eine Gegenbewegung zum globalisierten System-Fastfood. Die ursprünglich aus Italien stammende Bewegung bemüht sich um die Erhaltung der regionalen Küche mit heimischen pflanzlichen und tierischen Produkten und deren lokale Produktion. Bild: Presidioprodukte bei Coop.

Der Gründer und internationale Vorsitzende Carlo Petrini definierte 2006 das Motto: «gut, sauber und fair». Ein wichtiges Projekt ist die Slow Food Arche des Geschmacks, ein internationales Projekt zur Bewahrung regionaler Nahrungsspezialitäten sowie Projekte zur Erhaltung regionaler Obst-, Gemüse-, Getreidesorten- und der Nutztiervielfalt. Es geht ihr aber auch um traditionelle Verarbeitungsmethoden.

Slow Food hat mit der Arche des Geschmacks eine Liste von gefährdeten Lebensmitteln, Kulturpflanzensorten und Nutztierrassen erstellt, die im Zug der Globalisierung und Rationalisierung auszusterben drohen. Die Presidi sind Projekte, die kleine bedrohte Lebensmittelproduktionen retten, die nach handwerklicher Tradition in hoher Qualität hergestellt werden. Slow Food organisiert in Netzwerken wie Terra Madre den Austausch zwischen allen, die die Welt der Lebensmittel gut, sauber und fair gestalten. Und führt als einziger Verein eine staatlich anerkannte Universität, wo man Gastrowissenschaft studieren kann (Universita degli Studi di Scienze Gastronomiche in Bra, Piemont).

Slow Food fordert, dass unsere Lebensmittel geschmacklich und gesundheitlich einwandfrei sind, und dass sie auf saubere Art hergestellt werden – d.h. ohne Schaden an Natur und Tier anzurichten. Ausserdem müssen Lebensmittelproduzenten eine faire Entlöhnung für ihre Produkte und Arbeit erhalten. Slow Food tritt für die biologische Vielfalt ein, fördert eine nachhaltige, umweltfreundliche Lebensmittelproduktion, betreibt Geschmacksbildung und bringt Erzeuger von Qualitätslebensmitteln auf Veranstaltungen und durch Initiativen mit Konsumenten zusammen.

Slow Food setzt sich zunehmend für nachhaltige Fleischproduktion und artgerechte Tierhaltung ein, besonders als Reaktion auf die weltweit immer intensiver betriebene Tierhaltung. Man glaubt, dass die Art und Weise, wie Fleisch heute erzeugt und verbraucht wird, nicht nachhaltig ist und nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt, die menschliche Gesundheit, die handwerklichen Erzeuger und den Tierschutz hat. (Text: www.slowfood.ch)


Genuss ist relativ d.h. von individuellen oder regionalen Vorlieben geprägt. Beispiel: Am Stand der Indonesier gab es einen milden Kaffee während die Italiener auf stark gerösteten, sehr heiss und konzentriert gebrühten und leicht carbonisierten schwören.


Hauptthemen von Slow Food

Slow Food integriert das Prinzip «gut sauber und fair» in eine Reihe von Themenkampagnen und behandelt dabei kulturelle, soziale, wirtschaftliche, umweltspezifische und gastronomischen Faktoren. Beispiele:

● Slow Fish. Die internationale Slow Fish Kampagne wirbt für traditionelle und nachhaltige Fischerei und einen verantwortungsvollen Fischkonsum.

● Slow Cheese. 2001 startete Slow Food eine Kampagne, um die Tradition der Rohmilchkäseproduktion zu bewahren. Der Verein sammelte 20.000 Unterschriften, um die Rechte von Rohmilchkäseproduzenten zu untermauern. Der Höhepunkt der Kampagne ist die internationale Veranstaltung «Cheese», die alle zwei Jahre im norditalienischen Bra stattfindet und den Kleinkäsereien gewidmet ist.

● Gentech-Produkte. Slow Food engagiert sich gegen den kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Nutzpflanzen (GVO) und unterstützt in seinen Projekten die Produktion von gentechnikfreien Lebens- und Futtermitteln.

● Land Grabbing. Mit der Kampagne Land Grabbing will Slow Food auf die grossflächigen Käufe oder Pachtungen von fruchtbarem Agrarland durch staatliche und private Investoren aus dem Ausland – oft zu sehr niedrigen Preisen – aufmerksam machen. Durch diese Praktiken werden die biologische Vielfalt sowie die Lebensgrundlage und Zukunft der ortsansässigen Bevölkerung bedroht.

● Bienen und Pestizide. Slow Food möchte mit seiner Arbeit auf den drastischen Rückgang des Bestands an Wild- und Zuchtbienen aufmerksam machen und arbeitet mit vielen Organisationen der EU zusammen, insbesondere mit dem Europäischen Imkerverband. Petitionen fordern, schädliche Pestizide, besonders Fipronil und Neonicotinoid-haltige zu vermeiden.

● Tierwohl. Das Ziel von Slow Food ist nicht eine Welt ohne Fleisch sondern ein Produktionssystem für Fleisch, das sich deutlich von dem heutigen der industrialisierten Welt unterscheidet. Die Entscheidung für weniger aber besseres Fleisch, möglichst von örtlichen Tierrassen, kann viel bewirken.

● Food Waste. Die Reduzierung der Lebensmittelverschwendung ist eine der grössten Herausforderungen, auch für Slow Food.

● Indigene Völker. Slow Food ist der Überzeugung, dass man die biologische Vielfalt nur verteidigen kann, wenn man auch die kulturelle Vielfalt der indigenen Völker verteidigt. Das Recht der Völker, über ihr Land zu verfügen, Lebensmittel anzubauen, zu jagen und zu fischen ist grundlegend für die Sicherung ihrer Lebensgrundlage und den Schutz der biologischen Vielfalt der indigenen Tierrassen und Pflanzensorten.



Das Piemont ist eine der kulinarisch reichhaltigsten Regionen Europas. Auch die begehrte und kostbare weisse Albatrüffel stammt von hier.



Slow Food Schweiz

Slow Food Schweiz wurde 1993 gegründet und zählt etwa 3500 Mitglieder. Sie sind in lokalen Sektionen, sogenannten Convivien, organisiert. Präsident ist der Waadtländer alt-Nationalrat Josef Zisyadis. Mit den Presidi unterstützt Slow Food vom Verschwinden bedrohte, hochwertige Lebensmittel, schützt einzigartige Regionen und Ökosysteme, bewahrt traditionelle Bearbeitungstechniken und fördert autochthone Tierrassen und Pflanzenarten. Häufig nimmt Slow Food die Produkte zuerst in die Arche des Geschmacks auf, hilft den Produzenten, die Qualität zu sichern und eröffnet den Presidi einen neuen Markt.

In der Schweiz gibt es 20 Presidi, zB Walliser Ur-Roggenbrot, Quittenpästli, Tessiner Cicitt-Ziegenbratwurst, Furmagin da Cion (Fleischkäse aus dem Puschlav), Waadtländer Chantzet Blutwurst, Churer Beinwurst, Zincarlinkäse aus dem Muggiotal, Freiburger Rohmilch-Vacherin, Alpziger, Tessiner Farina Bona (Röstmaismehl), Dörrbohnen, Brenzer Kirsch. Ferner: schützenswerte Tierrassen, Landschaften und Produktionsmethoden. Slow Food Messen gibt es in der Schweiz in Zürich und Bern. Der nächste Slow Food Market findet vom 18. bis 20. November 2016 in der Messe Zürich statt: www.slowfoodmarket.ch/ und www.slowfood.ch.
(gb)
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